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abstand

(für die Richtigkeit nachstehenden Textes übernehmen wir keine Gewähr)

Quelle: Verwaltungsgericht Hamburg
http://www.hamburg.de/StadtPol/Gerichte/VG/entscheidungen2002/20022702.htm

Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. Februar 2002 (14 VG 446/02):

Die Sperrung von Daten, die von der Hamburger Polizei im Wege der Rasterfahndung ermittelt worden sind, kann jedenfalls nicht mit einer einstweiligen Anordnung erreicht werden. Die Anordnung der Rasterfahndung im September/Oktober 2001 dürfte rechtmäßig gewesen sein. Seither ist nach den verfügbaren Informationen noch keine Entspannung der Gefahrenlage eingetreten, die die Ermittlung weiterer potenziell einsatzbereiter Terroristen aufgrund der gewonnenen Daten nicht mehr erwarten lässt. Dabei ist nicht nur auf die Situation in Hamburg und im übrigen Deutschland abzustellen.

Gründe:

I. ....

II.

Soweit der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung die Sperrung der durch die Rasterfahndung hinsichtlich seiner Person gewonnenen personenbezogenen Daten begehrt, hat dieser Antrag gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO keinen Erfolg.

1. Die Kammer hat bereits Zweifel daran, ob der Antragsteller einen Anordnungsgrund für die begehrte Regelungsanordnung besitzt. Ihm müssten wesentliche, voraussichtlich nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile erwachsen, wenn er zuwarten müsste, bis ein etwaiges Recht auf Sperrung seiner personenbezogenen Daten erst im Hauptsacheverfahren geklärt würde. Dass dem Antragsteller derartige Nachteile drohten, ist bislang nicht explizit vorgetragen; in seiner Antragsschrift vom 28.1.2002 berühmt sich der Antragsteller des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, geht aber auf die ihm drohenden Folgen bei einer etwaigen Rechtsverletzung durch die Antragsgegnerin nicht näher ein. Auch vermag die Kammer bislang aus den sonstigen Umständen des Falles und den ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht deutlich zu erkennen, welche schwer wiedergutzumachenden Nachteile dem Antragsteller erwüchsen, wenn die über ihn gewonnenen Daten von der Antragsgegnerin einstweilen nicht gesperrt, sondern für ihre Tätigkeit im Rahmen der Rasterfahndung vorläufig weiter verfügbar blieben. Letztlich kann jedoch nicht ausgeschlossen werden und erscheint die Annahme grundsätzlich nicht als abwegig, dass dem Antragsteller aus dem Umstand, dass über ihn durch die Rasterfahndung Daten gesammelt, abgeglichen und weiter verwendet worden sind, irgendwie geartete Nachteile entstehen können, die im Nachhinein nur schwer reparabel wären (so auch VG Mainz, Beschl. v. 1.2.2002, 1 L 1106/01 Mz, Seite 2 der Ausfertigung). In diesem Zusammenhang kann nämlich nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Typizität der behördlichen Tätigkeit, die sich bei der Datenerfassung und -abgleichung im Verborgenen abspielt, bis sie einen "Rastertreffer" verzeichnet, die Benennung möglicher schädlicher Auswirkungen zum Beispiel im privaten, beruflichen oder auch - was für den Antragsteller hier bedeutsam werden könnte - aufenthaltsrechtlichen Bereich allein deswegen erschwert, weil die Daten hinsichtlich Anzahl und Art nicht bekannt sind und ihre Auswirkung daher auch nicht abgeschätzt oder eingegrenzt werden kann. Nach allem kommt die Kammer daher zugunsten des Antragstellers zu dem Schluss, dass der Antragsteller auch ohne konkrete Benennung vom ihm drohenden schwerwiegenden Nachteile einen Anordnungsgrund im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO besitzt.

2. Es fehlt jedoch an einem Anordnungsanspruch, der vom Antragsteller glaubhaft zu machen gewesen wäre (§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO). Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Sperrung seiner Daten gemäß § 24 Abs. 4 Nr. 2 HambPolDVG besäße. Die Voraussetzungen hierfür - Löschung von Daten bzw. Vernichtung von Unterlagen (§ 24 Abs. 2 Satz 1 HambPolDVG) - dürften schon deswegen nicht erfüllt sein, weil die Gefährdungslage nach § 23 Abs. 1 HambPolDVG entgegen der Auffassung des Antragstellers weiterhin fortbesteht. Die Kammer teilt insoweit im Wesentlichen die Auffassung des OLG Düsseldorf in seinem, den Beteiligten bekannten Beschluss vom 8.2.2002 (3 Wx 351/01, Seite 5 der Ausfertigung), betreffend das Verfahren eines ..... Staatsangehörigen und die Auffassung des VG Mainz (Beschl. v. 1.2.2002, 1 L 1106/01 Mz). Darüber hinaus weist die Kammer auf folgende Gesichtspunkte hin:

Gemäß § 23 Abs. 1 HambPolDVG dienen die aufgrund der Rasterfahndung eingeleiteten Maßnahmen der Abwehr einer "unmittelbar bevorstehenden" Gefahr. Der Wortlaut der Bestimmung unterscheidet sich insoweit von den einschlägigen Vorschriften anderer Landesrechte, die von einer "gegenwärtigen" (§ 31 Abs. 1 PolGNW; § 47 Abs. 1 Satz 1 ASOG Berlin) bzw. einer "gegenwärtigen erheblichen" (§ 25d Abs. 1 POG Rheinland-Pfalz) Gefahr sprechen. Die Rechtsprechung bezeichnet eine Gefahr als gegenwärtig, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses unter anderem unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht; nicht erforderlich ist, dass die Realisierung des Schadens unmittelbar bevorsteht (BVerwG, U. v. 26.6.1970, IV C 99/67, NJW 70, 1891, 1892 = DÖV 1970, 714, 715). Von daher sieht die Kammer in der Qualifizierung der Gefahr in § 23 Abs. 1 HambPolDVG keine in der Sache wesentliche, etwa deutlich höhere Anforderungen stellende Abweichung von den Regelungen anderer Bundesländer.

Für die Beurteilung der Gefährdungssituation dürfte maßgeblich auf den Zeitpunkt abzustellen sein, zu welchem die Rasterfahndung ausgelöst worden ist; das ist für Hamburg der 19.9.2001 bzw. der 15.10.2001 gewesen. Dass nach einem derart kurzen Zeitraum seit den Anschlägen vom 11.9.2001 nicht davon gesprochen werden kann, die Gefahr für weitere terroristische Gewaltakte sei abgeklungen und daher die Auslösung der Rasterfahndung rechtswidrig, ist evident. Das Verwaltungsgericht Mainz spricht in diesem Zusammenhang unter Berücksichtigung der Art der verübten Verbrechen von einer Dauergefahr, die sich in den erfolgten Attentaten bereits konkretisiert habe und die nach Lage der Dinge weitere Terroranschläge befürchten lasse. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Durch die Anschläge vom 11.9.2001 dürfte die Gefahrenlage - die in ihrer Dimension bisherige Vorstellungen und Erfahrungen übersteigt - erstmals konkret in das Bewusstsein der mit ihrer Bewältigung betrauten Sicherheitsbehörden gerückt sein. Dabei lassen die aus den Medien zugänglichen Erkenntnisse über den Zeitraum für Vorbereitung und Durchführung derartiger Attentate den Schluss zu, dass die Attentate vom 11.9.2001 lediglich Ausdruck eines schon vorher vorhandenem Gefahrenpotentials sind, welches mit dem Gelingen der Attentate nicht beseitigt worden ist, sondern eher neuen Auftrieb erhalten haben dürfte. Dass sich mit dem Tod der Attentäter vom 11.9.2001 die Gefahrensituation entspannt hätte, wie der Antragsteller vorträgt, vermag schon deswegen nicht zu überzeugen, weil die Täter keine Einzeltäter waren, sondern einem Netzwerk entstammten, dass über die logistischen Möglichkeiten verfügt, weiterhin ähnlich spektakuläre Gewaltakte vorzubereiten und zu begehen. In diesem Zusammenhang sei nur beispielsweise auf den offenbar geplanten Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg verwiesen.

War die Anordnung der Rasterfahndung mithin am 19. September bzw. 15. Oktober 2001 von § 23 Abs. 1 HambPolDVG gedeckt, so müsste die weitere Verarbeitung bzw. Abgleichung der "Rastertreffer" nur dann, wie vom Antragsteller beantragt, gesperrt werden, wenn die Gefahr inzwischen - etwa durch die militärische Beseitigung des Talibanregimes in Afghanistan - so weit herabgemindert wäre, dass die Ermittlung von so genannten "Schläfern", das heißt potenziell einsatzwilligen und -bereiten Terroristen aus dem Bestand der "Rastertreffer" nicht mehr zu erwarten wäre. Davon kann jedoch zurzeit zum einen schon deswegen nicht gesprochen werden, weil die Antragsgegnerin nach eigenem vorläufig als glaubhaft zu unterstellendem Vortrag noch lange nicht alle durch die Rasterfahndung gewonnenen Daten abgeglichen bzw. ausgewertet hat, und weil zum anderen - wie ständig neuen Veröffentlichungen über aufgedeckte Anschlagsplanungen (so die neuesten Meldungen über die in Rom entdeckten Vorbereitungen für einen Zyanidanschlag auf die Amerikanische Botschaft, FAZ vom 26.2.2002) entnommen werden muss - keineswegs von auch nur ansatzweise sicheren Anzeichen für eine Zerstörung des offensichtlich weltweit agierenden Terrornetzes "El Kaida" sowie möglicherweise auch parallel arbeitender und planender Gruppen ausgegangen werden kann.

Dass - wie der Antragsteller weiter vorgetragen hat - maßgebliche Politiker einschließlich des Bundeskanzlers in der Öffentlichkeit und vor dem Deutschen Bundestag nur einen Tag nach den Anschlägen, nämlich am 12.9.2001 erklärt haben, es seien keinerlei Anzeichen dafür ersichtlich, dass die Verübung terroristischer Gewalttaten in der Bundesrepublik Deutschland bevorstehe, widerspricht ebenfalls nicht der Annahme eines fortbestehenden Gefahrenpotentials. Die allgemein zugänglichen Informationen veranschaulichen, dass die verübten und die gegebenenfalls noch in Planung befindlichen Terrorakte multinationale Bezüge tragen, mithin nicht zwingend im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Ausführung gelangen müssen, sondern hier beispielsweise nur geplant und vorbereitet werden (wie gerade die Anschläge vom 11.9.2001 in den USA belegen, an denen maßgeblich Personen beteiligt waren, die in Hamburg gelebt haben). Die hiervon abweichende Bewertung der Landgerichte von Berlin und Wiesbaden sowie des OLG Frankfurt (Beschl. v. 21.2.2002) greift zu kurz und ist offensichtlich zu sehr von Erwägungen aus dem Bereich der Strafverfolgung geprägt. Eine derartige Wertung der Gesamtsituation - wie sie die vorgenannten Gerichte vorgenommen haben - lässt auch außer Acht, dass der NATO-Rat nach den Attentaten vom 11.9.2001 am 2.10.2001 den Bündnis-Fall nach Art. 5 des NATO-Vertrages festgestellt hat und es damit auf eine Lagebeurteilung, die sich auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt, nicht ankommt. In diesem Zusammenhang verkennt die Kammer nicht, dass durch den NATO-Vertrag nur die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat zu einer Unterstützung und Mitwirkung im Rahmen ihrer nationalen Möglichkeiten verpflichtet ist. Die Bundesländer sind aber jedenfalls aufgrund des Gebots der Bundestreue in die Pflicht eingebunden, an der Abwehr bzw. Verhinderung terroristischer Anschläge und der Fahndung nach möglichen Verdächtigen mitzuwirken.

Die Anordnung der Rasterfahndung bedurfte auch nicht, abweichend vom Gesetz, aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen einer richterlichen Bestätigung, wie der Antragsteller meint und wie sie in vier Bundesländern vorgesehen ist. Die Kammer hält die Zuweisung der Entscheidungskompetenz an die nach dem Senat als ganzen zweithöchste politische Instanz (Senator oder Staatsrat, § 23 Abs. 4 Satz 1 HamPolDVG) und die zwingend vorgeschriebene Information des unabhängigen Datenschutzbeauftragten (§ 23 Abs. 4 Satz 2 HambPolDVG) für hinreichende Sicherungen vor einer missbräuchlichen bzw. nicht vom Gesetz gedeckten Praxis.

Für dieses Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es auch nicht darauf an, dass die - wie der Antragsteller es für das Klagverfahren beantragt hat - geschwärzten Kriterien für die Rasterfahndung offengelegt werden. Die Frage, welche Kriterien der Rasterfahndung zugrunde gelegt worden sind, tangiert die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Rasterfahndung. Ihre Offenlegung bereits in diesem Verfahren würde die Hauptsache unzulässigerweise vorwegnehmen und könnte überdies den Zweck der noch nicht abgeschlossenen Auswertung der Ergebnisse der Rasterfahndung gefährden.

Nach alledem kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass eine unmittelbar bevorstehende Gefahr die Auslösung der Rasterfahndung in Hamburg gerechtfertigt hat. Der Antragsteller hat damit keinen Anspruch auf vorläufige Sperrung seiner personenbezogenen Daten.



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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 26.04.2001 - letzte Änderung am 29.07.2002