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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/1993)

abstand

Rassistische Polizei in Frankreich?

polizeiliches Einsatzverhalten und dessen Konsequenzen


von Hartmut Aden


Wer weißer Hautfarbe und gut gekleidet ist, wird wesentlich seltener von der Polizei kontrolliert als Schwarze und AraberInnnen. Das ist eine kaum zu bestreitende Alltagserfahrung mit der französischen Polizei. Verhalten sich französische PolizistInnen deshalb rassistisch? Wenn ja, wo liegen die strukturellen Ursachen, und welche Maßnahmen können dagegen ergriffen werden? Inwieweit handelt es sich um ein typisch französisches, inwieweit um ein internationales Problem?

Diese Fragen sind in letzter Zeit in zwei interessanten Diskussionsbeiträgen aufgegriffen worden: In einem Bericht der Internationalen Liga für Menschenrechte (Fédération Internationale des Droits de l`Homme, FIDH)[1] und in einer Analyse, die eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Soziologen Michel Wieworka für das zum Innenministerium gehörende Institut des Hautes Etudes de la Sécurité Intérieure (IHESI) erstellt hat.[2]

Identitätskontrollen - ein altes Streitthema

Identitätskontrollen sind einer der Bereiche alltäglicher Polizeiarbeit, in denen potentiell rassistisches Einsatzverhalten zum Ausdruck kommen kann. Die rechtlichen Voraussetzungen für Identitätskontrollen sind daher seit langem ein politisches Streitthema zwischen dem fortschrittlich-liberalen Lager und Bürgerrechtsgruppen auf der einen sowie den Rechtsparteien und Polizeipraktikern auf der anderen Seite. Im Laufe der 80er Jahre wurde daher die Gesetzeslage für Identitätskontrollen mehrfach geändert: Bis Anfang 1981 war die Rechtslage unklar: Identitätskontrollen erfolgten in einer rechtlichen Grauzone oder auf umstrittenen Rechtsgrundlagen. Kurz vor dem Ende der Präsidentschaft Giscard D`Estaings wurden Identitätskontrollen im Rahmen der Strafverfolgung und präventiv legalisiert[3] - wie so häufig in Folge eines Skandals.[4]

Daß Schwarze oder AraberInnnen auf Frankreichs Straßen häufiger kontrolliert werden als andere, kann objektiv bereits als Rassismus gewertet werden. Allerdings müssen nicht in jedem Fall direkte rassistische Überzeugungen dahinterstehen. Es können auch strukturelle Vorgaben sein, die in diesem Zusammenhang ein negatives Bild der französischen Polizei fördern. So kommt etwa der Erfolgsdruck, unter dem PolizistInnen bei der Alltagsarbeit stehen, als eine der Ursachen für scheinbar rassistisches Verhalten in Betracht. Je mehr "fremd" Aussehende im öffentlichen Raum kontrolliert werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich illegale Einwanderer darunter befinden oder es sich um Kleinkriminelle handelt, deren Verhaftung für die jeweiligen PolizistInnen ein dienstlicher Erfolg ist, der sich auf die soziale Stellung im Revier, auf Beförderungsmöglichkeiten und die Personalausstattung der Brigade positiv auswirkt.[5]

Die neue sozialistische Regierung brauchte mehr als zwei Jahre, um im Juni 1983[6] die diversen Regelungen zu Identitätskontrollen im Art. 78 des Code de Procédure Pénale (Strafprozeßordnung) zusammenzufassen. Nunmehr waren Identitätskontrollen im Prinzip zwar nur noch im Zusammenhang mit der Strafverfolgung zulässig, jedoch wurden sie zusätzlich auch im Vorfeld einer Straftat und sogar gegenüber Zeugen zugelassen, deren Voraussetzungen durch unbestimmte, sehr dehnbare Gesetzesbegriffe geregelt wurden: Die pragmatische, polizeifreundliche Linie des damaligen Innenministers Gaston Deferre hatte sich gegen eine fortschrittlichere Linie der (im Sommer 1981 eingesetzten) Polizeireformkommission unter Leitung des sozialistischen Abgeordneten Jean-Michel Belorgey[7] durchgesetzt. Charles Pasqua, der rechts-gaullistische Innenminister der Cohabitations-Regierung, brachte dann 1986 ein Gesetz durch, nach dem Identitätskontrollen wieder ohne Einschränkung möglich waren.[8]

Für potentiell rassistisches Einsatzverhalten der Polizei sind insbesondere die speziellen Regelungen für die Identitätskontrolle von AusländerInnen interessant: Seit 1946[9] waren diese zu jeder Zeit verpflichtet, sich auszuweisen. Nach den Klarstellungen des sozialistischen Gesetzes von 1983 wurde jedoch durch das Revisionsgericht entschieden, daß Äußerlichkeiten keinen Schluß darauf zulassen, ob jemand französische StaatsbürgerIn ist und daher zusätzliche Anhaltspunkte, z.B. das Nichtbeherrschen der französischen Sprache, verlangt.[10] Pasqua setzte dieser Diskussion ein Ende, indem er die verschärfte Ausweispflicht für AusländerInnen wieder einführte.[11] In der zweiten sozialistischen Regierungsphase ab 1988 wurde an diesen Regelungen nichts mehr geändert. Die Innenminister Joxe, Marchand und Quilès hatten sich auf einen "harten" Kurs in der Innenpolitik festgelegt.

Rassismus als Frustrationssyndrom

Rassistische Einstellungen und rassistisches Einsatzverhalten beschränken sich jedoch nicht auf Identitätskontrollen. Sie sind auch ein Krisen- und Frustrationssyndrom, das sich im Alltag als verbaler Rassismus oder diskriminierendes Verhalten niederschlägt. Die Ursache dafür überschreitet das für PolizistInnen Steuerbare bei weitem: in den Vorort-Betonsiedlungen der französischen Großstädte sind die sozialen Spannungen mit der Entwicklung hin zu Ghettos der ärmeren Bevölkerungsgruppen derart gewachsen, daß sie längst zum größten Problemfeld der "Inneren Sicherheit" wurden. Hier ist der Anteil von Nord- und SchwarzafrikanerInnen besonders hoch.

Gewalt und auf der Straße sichtbare Kleinkriminalität sind hier besonders verbreitet. Meist sind es Jugendliche, denen soziale Einbindung und Perspektiven fehlen, die mit der Polizei in Konflikt geraten. Die fast ständigen Auseinandersetzungen, die zum Teil dazu führen, daß sich reguläre Polizeistreifen zeitweise nicht mehr in diese Bereiche vorwagen, haben in den Köpfen französischer PolizistInnen Klischeebilder erzeugt, die zwar keine geschlossene Ideologie darstellen, im Ergebnis jedoch rassistisch sind: Nord- und Schwarzafrikaner werden als Wurzel allen Übels - der Hilflosigkeit der PolizistInnen und der Verschlechterung ihrer Arbeitssituation - angesehen und entsprechend schlechter behandelt als andere. Selbst PolizistInnen, die nach ihrer politischen Einstellung keine Rassisten sind, neigen zu grobem oder unfreundlichem Verhalten gegenüber Angehörigen dieser ethnischen Minderheiten.[12] Nordafrikaner unterliegen einem wesentlich höheren Risiko, in Polizei- oder Untersuchungshaft zu kommen als Europäer. Schwarzafrikaner nehmen eine Mittelposition ein.[13] Auch die Opfer polizeilicher Todesschüsse gehören überwiegend diesen Minderheiten an.[14]

Manifester Rassismus

Neben diesem - strukturell bedingten - rassistischen Verhalten gibt es in der Polizei Frankreichs allerdings auch manifesten Rassismus mit ideologischem Hintergrund. Die Polizei ist hier ein Spiegelbild der französischen Gesellschaft, in der sich in den letzten Jahren immerhin 10 - 15% der Wahlbevölkerung für die rechtsextreme "Front national" entschieden haben.

Die Wahlergebnisse der rechtsextremen Polizeigewerkschaft F.P.I.P.[15] bei den Wahlen der Personalvertretung liegen zwar noch unter 10%, haben jedoch seit Anfang der 80er Jahre parallel zu den Erfolgen der "Front national" und den gewachsenen Alltagsproblemen erheblich zugenommen. Diese Gruppe bildet den "harten Kern" rassistischen Polizeiverhaltens, das aufgrund der allgemeinen Mißstimmung bei KollegInnen nicht selten auf Verständnis stößt.

Die FIDH kritisiert daher zu Recht, daß ausgerechnet in Frankreich mit seiner langen Tradition von Menschen- und Freiheitsrechten nicht immer alles zum besten steht. Die Anti-Folter-Kommission des Europarats kommt zu demselben Ergebnis:[16] Zwar seien direkte Fälle von Folter in der französischen Polizeihaft nicht zu verzeichnen, doch gebe es Mißhandlungen wie Fausthiebe, Ohrfeigen, Schläge mit einem Telefonbuch auf den Kopf, Beleidigungen, Nahrungs- oder Medikamentenentzug. Daher fordert die FIDH strukturell-politische Maßnahmen gegen polizeilichen Rassismus und macht insbesondere Vorschläge für die gesetzlichen Regelungen der Identitätskontrollen und Polizeihaft. Der von ihr ebenfalls angeprangerte Mißstand, daß man bisher in der Polizeihaft keinen Anwalt zuziehen durfte, ist kürzlich im Zuge der Reform des Strafprozeßrechts abgestellt worden.

Die offiziellen Reaktionen auf die Berichte der FIDH und des Europarats waren überwiegend indigniert. Die im offiziellen Auftrag erstellte Untersuchung Wieworkas, die methodisch und inhaltlich sehr interessant ist, hält sich in bezug auf politische Schlußfolgerungen leider zurück. Dennoch hat Innenminister Quilès im November 1992 erneut angekündigt, daß nun endlich das Anfang der 80er Jahre von der Polizeireformkommission vorgeschlagene und seitdem wiederholt von den fortschrittlichen Gewerkschaften geforderte unabhängige Kontrollgremium für die Polizei eingesetzt werden soll.[17] Das entsprechende Dekret wurde gerade noch rechtzeitig vor dem Ende der Legislaturperiode veröffentlicht.[18]

Schlußbetrachtung

Es wäre verfehlt, polizeilichen Rassismus in erster Linie als individuelle Verfehlung und damit als ein auf der Ebene des Personals lösbares Problem zu betrachten. Diese Perspektive bleibt letztlich auf manifest rechtsextreme PolizistInnen beschränkt, auf deren Mitarbeit die Polizei eines demokratischen Staates ohnehin verzichten sollte. Der strukturelle Rassismus, der im wesentlichen darauf beruht, daß die Polizei durch politische Fehlentscheidungen in der Befriedung des öffentlichen Raumes aufgerieben wird, ist Bestandteil einer wesentlich umfassenderen politischen Krise, die neben der Polizei die gesamte Justiz und das Strafrechtssystem erfaßt hat.

Hartmut Aden ist Rechtsreferendar und lebt zur Zeit in Paris.



[1] Rapport Racisme et Police en France, Paris 1992
[2] Rapport Sociologie du Racisme: Police et Racisme, Paris 1991
[3] Loi 81 - 82 ("Sécurité et Liberté") v. 2.2.1981
[4] Affaire de Dole, vgl. Le Monde v. 29.3.1980
[5] Im Jargon: "Faire du chiffre"; vgl. Wieworka, S. 28
[6] Loi 83 - 446 v. 10.6.1983
[7] vgl. dazu die kommentierte Neuausgabe des Kommissionsberichts: Jean-Michel Belorgey (Hg.), La Police au Rapport, Nancy 1991
[8] Art. 2 (1. Teil), Loi 86 - 1004 v. 3.9.1986
[9] Dekrete v. 18.3. und 30.6.1946
[10] Urteile des Cour de Cassation v. 4.10.1984 u. 25.4.1985
[11] Art. 2 (2. Teil), Loi 86 - 1004 v. 10.9.1986
[12] Wieworka, S. 46 ff.
[13] vgl. René Lévy, Du suspect au coupable: le travail de police judiciaire, Genf, Paris 1987, S. 121
[14] vgl. L`Etat assassine, Meurtres racistes et sécuritaires, Paris (Reflex) 1992
[15] Fédération professionnelle indépendante de la police; überproportionale Ergebnisse in der Bereitschaftspolizei CRS
[16] Bericht Juli 1992, veröffentlicht im Januar 1993, dazu: Le Monde v. 21.1.1993
[17] Conseil supérieur de l'activité de la police, Le Monde, 11.11.1992, S. 12; auch schon im Mai 1992 angekündigt, vgl. Le Monde, 19.5.1992, S. 12
[18] Journal officiel v. 17.2.1993

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Erstellt am 03.02.2001 - letzte Änderung am 16.09.2002