Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/1993) |
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Rassismus: Kein Thema für die deutsche Polizei?Gedanken zu einem Tabu |
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von Albrecht Funk |
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Wenn leitende Polizei- oder Ministerialbeamte der Innenministerien zur Ausländerfeindlichkeit in der Polizei öffentlich Stellung nehmen, ist allenfalls von einigen "faulen Äpfeln" die Rede, die es in jeder Sparte gäbe. Angesprochen auf das Thema Rassismus in der Polizei fallen allenfalls Begriffe wie Rodney King und Los Angeles. Vorkommnisse auf deutschen Polizeirevieren scheint es - zumindest offiziell - nicht zu geben. Die Indikatoren eines gesetzestreuen Vollzugsdienstes "ohne Ansehen der Person" geben den Verwaltern der offiziellen Polizeiwirklichkeit zunächst recht. Die ohnehin schon geringe Zahl an Strafanzeigen aufgrund polizeilicher Übergriffe verschwindet da, wo es um verbale Übergriffe auf 'Ausländer' geht, nahezu völlig. Auch in der überregionalen Presse tauchten in den 70er und 80er Jahren nur sporadisch einige Fälle auf, wie der dreier Bonner Polizisten, die nach einem Kneipenbummel zwei Türken beschimpft und krankenhausreif geschlagen hatten - immerhin außerhalb der Dienstzeit.[1] Erst seit einem Jahr finden sich im Redaktionsarchiv vermehrt Meldungen über polizeiliche Diskriminierungen und Übergriffe auf ausländische Mitbürger:
Diese Meldungen lassen eine systematische Interpretation nicht zu. Viele Beobachter sehen in den vermehrten Klagen im Laufe des letzten Jahres ein Indiz für wachsende Ausländerfeindlichkeit und offenen Rassismus in Teilen der Polizei. Andere weisen auf die radikale Veränderung nach dem Fall der Mauer hin: eine wachsende, vielfach illegale Einwanderung aus allen Teilen Osteuropas und die sich daraus ergebenden sozialen Konflikte. Zunächst - und vor allem - sind die Meldungen jedoch eine Folge wachsenden öffentlichen Interesses, was auch die Chancen der Opfer polizeilicher Übergriffe erhöht, ihre Klagen öffentlich glaubhaft zu machen. Kurz: Die Meldungen sagen nichts über die Reichweite solcher Umgangsformen der Polizei mit "andersartigen Fremden" aus. Die Wirklichkeit der Interaktionen zwischen Polizeibeamten und 'Ausländern' entzieht sich weitgehend einer öffentlichen oder statistischen Erfassung. Gleichwohl gibt es gute Gründe für die These, daß es sich bei den zitierten Fällen nicht nur um die berühmten Ausnahmefälle handelt, welche die Normalität eines von Diskriminierung und offenem Rassismus freien Polizeivollzuges bestätigt. Geringe Klagemacht benachteiligter KlientelgruppenEine amerikanische Anthropologiestudentin beklagte sich mir gegenüber kürzlich über die Art und Weise, wie sie und drei jugendliche Türken von zwei Polizisten auf der Autobahn gestoppt und behandelt worden waren. Erschreckt hatte sie dabei weniger die Sprache und das Herumschubsen der türkischen Jugendlichen und die ihres Erachtens willkürliche Strafe. Dies war ihr, aus Südkalifornien kommend, nicht völlig fremd. Betroffen machte sie vor allem, daß die Jugendlichen auf ihre Frage, ob sie nicht eine Beschwerde gegen die Beamten einreichen wollten, nur erwiderten, froh zu sein, so glimpflich davongekommen zu sein. Solches Verhalten sei Teil ihres Alltags und Klagen allemal sinnlos. Diese Episode bestätigt, was Feest/Lautmann die geringe Beschwerdemacht unterprivilegierter Klientelgruppen der Polizei nennen: von Obdachlosen und Jugendlichen, von Unterschichtangehörigen und eben von 'Ausländern'.[8] Ihre Klagen finden nur selten öffentliches Gehör, noch seltener werden sie als glaubhaft wahrgenommen. Und in den Akten von Polizei und Staatsanwaltschaft tauchen sie erst recht nicht auf. Sie werden deshalb von den Betroffenen nur noch in Ausnahmefällen öffentlich erhoben. Wer jedoch bei einzelnen Afrikanern, Asiaten oder Südosteuropäern, in Ausländervereinen oder bei Ausländerbeauftragten nachfragt, bekommt schnell eine Vielzahl von Fällen zu hören, die mit dem Idealbild eines, die menschliche Würde achtenden Repräsentanten der Staatsgewalt nicht übereinstimmten. Rassistische Elemente in der alltäglichen PolizeikulturJeder Mensch lebt mit Stereotypen und entwickelt innerhalb seiner spezifischen Lebens- und Arbeitswelt gesellschaftlich, institutionell und lebensgeschichtlich geformte Wahrnehmungsmuster gegenüber Personen, mit denen er zu tun hat. In dieser soziologischen Perspektive erscheint es deshalb als völlig normal, daß BeamtInnen innerhalb des Arbeitsalltags die abstrakten polizeirechtlichen Kategorien des Störers und Verdächtigen in konkreten sozialen Typisierungen der Personen auflösen, die anders sind als sie selbst und andere 'ordentliche Bürger'.[9] Auch die zynische, teilweise brutale Bezeichnung als "Arschlöcher", "Hohlköpfe", "Klugscheißer" oder "Penner" ist keine Besonderheit der Polizei, sondern findet sich (u.U. in verfeinerter Form) auch in anderen Berufen, etwa bei Ärzten, bei Juristen oder den Flurgesprächen von Professoren über die Studenten wieder. Solche Stereotypen schaffen Distanz, wirken als Ventil und sind deshalb auch nicht - wie angloamerikanische Soziologen betonen - zwangsläufig handlungsbestimmend.[10] Kurz: Selbst aus offensichtlich rassistisch gefärbten (internen) Äußerungen von Beamten ("Bimbo", "Kümmeltürke", "Fidschi", "Dachpappe") sollte nicht gleich auf verfestigtes rassistisches Verhalten geschlossen werden. Doch ebenso sicher ist, daß zunehmendes Einsickern rassistischer Sprach- und Denkmuster nicht nur die soziale Wahrnehmung der BeamtInnen weiter verengt, sondern dort, wo sie zum allgemein akzeptierten Bestandteil der "cop culture" werden, Übergriffe aller Art begünstigt. Hinweise darauf, daß sich in der Polizei in bestimmten Gruppen (z.B. Ausbildung) oder Orten (bestimmten Revieren) schleichend eine rassistisch geprägte Polizeiunkultur breit macht, gibt es seit langem:
Politische und institutionelle RahmenbedingungenEs ist müßig, gegen die kaum zu leugnenden rassistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen in der Polizei ins Feld zu führen, die Mehrheit der PolizistInnen sei keineswegs rechtsradikal; Polizei sei vielmehr nur ein Spiegelbild der Gesellschaft insgesamt. Die Frage, ob und inwieweit Polizeibeamte eine höhere Affinität zu rassistischen Einstellungen und Verhaltensweisen haben als die Gesamtbevölkerung, wird in der angloamerikanischen Polizeiforschung zwar immer wieder diskutiert, mehrheitlich jedoch verneint.[15] Entscheidend ist, daß mit der Polizei eine vom grundgesetzlichen Auftrag her zu Gleichbehandlung und Achtung der Person verpflichtete Institution an einer gesellschaftlichen Entwicklung teilhat, die auf Diskriminierung und Unterdrückung von Mitbürgern oder hier aufhältlicher Personen hinausläuft. Wo mit Innenminister Stoiber in Bayern der oberste Dienstherr vor einer 'durchrassten Gesellschaft' warnt, stellt individueller Rassismus von Streifenbeamten nur die obrigkeitlich legitimierte Form des Kampfes gegen die "Deutschland überflutenden Asylanten und illegalen Immigranten" dar. SchlußfolgerungenWas die Bundesrepublik von anderen westeuropäischen Staaten unterscheidet, ist nicht die Existenz von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in der Polizei. Auch das Ausmaß ist verglichen mit manchen anderen Staaten keineswegs höher. Im Unterschied zu den Niederlanden oder Großbritannien wird dies in Deutschland aber offiziell tabuisiert und nicht als ein institutionell zu bearbeitendes Problem begriffen. Bis zum Herbst 1991 dominierte bei den Sozialdemokraten und der Gewerkschaft der Polizei noch der Versuch, die 1989 sichtbar werdenden Sympathien vieler Polizisten für rechtsextreme und rassistische Ideologen als verkehrten Ausdruck der "Unzufriedenheit mit ihrer sozialen Lage" zu interpretieren.[16] CDU und vor allem CSU ging es mit ihrer Drohung, Mitglieder der REP als Extremisten aus dem Beamtendienst zu entfernen, nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern einzig um eine Stabilisierung der eigenen Basis.[17] Der wachsende öffentliche Druck hat zwar zu einer Verschärfung der Praxis geführt, offen nazistisch auftretende Beamte zu entlassen. Damit wird das Problem selbst allerdings noch nicht zum Thema gemacht. Hierzu ist eine offene Auseinandersetzung nötig mit den Einstellungen und Verhaltensweisen, einschließlich der institutionellen Rahmenbedingungen, die dazu führen, daß Menschen "ausländischen Aussehens" (Polizeifunkjargon) ihrer ethnischen Herkunft wegen nicht als gleichwertig betrachtet, beurteilt und behandelt werden. Es geht um eine Auseinandersetzung mit Rassismus in allen seinen Formen.[18] Kurse, in denen Polizeibeamte lernen, sich mit ihren Vorurteilen auseinanderzusetzen und diese zu überwinden, wie sie in Holland, England oder vielen US-amerikanischen Großstädten Bestandteil der Aus- und Fortbildung sind, sind sicherlich ein wichtiger (erster) Schritt.[19] Doch ebenso wichtig ist anzuerkennen, daß Rassismus nicht zuletzt auf vielfältigen institutionellen Formen systematischer Diskriminierung beruht.[20] So führen z.B. die Existenzbedingungen vieler 'Ausländer' (jugendlich, arbeitslos, männlich, auf ein Straßenleben verwiesen und damit polizeilich auffälliger) häufig zu massiven Formen des "overpolicing"(dauernde Personenüberprüfung, Arrestierung etc.). Andererseits fördern Sprach- und Kulturbarrieren und gegenseitiges Mißtrauen ein "underpolicing" in anderen Bereichen (insbesondere bei Attacken deutscher Bürger). In vielen Situationen gerät die Polizei darüber hinaus in die Gefahr, bestehende gesellschaftliche Vorverurteilungen unreflektiert umzusetzen (bei Anzeigenerstattungen, Beschreibung von Tätern etc.). Schließlich fördern auch institutionelle Faktoren eine systematische Diskriminierung: etwa die Überprüfung der Aufenthaltserlaubnis als permanenter Anlaß für Überprüfungen von "ausländisch Aussehenden", vor allem aber der weitgehende Ausschluß von ethnischen Minderheiten vom Polizeidienst aufgrund der hohen Schranken von Staatsangehörigkeits- und Beamtenrecht. Demgegenüber wurde sowohl in Großbritannien wie auch in Frankreich eine "multirassische" Rekrutierungspolitik betrieben. In der Financial Times heißt es hierzu lapidar: "Germany needs a multiracial police force".[21] Als der britische Schriftsteller Salman Rushdie gefragt wurde, für wie wünschenswert er die sich in den westlichen Industriestaaten abzeichnende "multikulturelle Gesellschaft" halte, erwiderte er, daß sie komme, ließe sich nicht verhindern, die Frage sei, ob sie sich in barbarischer oder zivilisierter Weise bildete. Der Polizei wird bei dieser Klärung eine besondere Bedeutung zukommen; sie wird deshalb Rassismus als ihr eigenes Problem ernster nehmen müssen als bisher. Albrecht Funk ist Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Bürgerrechte und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP. [1] Nord-West-Zeitung v. 10.5.1986 [2] Süddeutsche Zeitung v. 1.4.1992 [3] die tageszeitung v. 23.1.1993 [4] Berliner Morgenpost v. 23.1.1993 [5] 'amnesty international' - Racist torture and ill-treatment by police in western Europe, London 1992 [6] Der Tagesspiegel v. 9.3.1993 [7] ebd. [8] Blankenburg, Erhard/Feest, Johannes, Die Definitionsmacht der Polizei, Düsseldorf 1972, S. 46f. [9] vgl. hierzu Reichertz, Jo/Schröer, Norbert (Hg.), Polizei vor Ort, Stuttgart 1992 und Girtler, R., Polizei-Alltag, Opladen 1980 [10] vgl. zu den Funktionen des Jargons, van Maanen, John, The Asshole, in Policing: A view from the street, hrsg. von Manning, P.K. und van Maanen, J., Santa Monica 1978, S. 221-237, zum Problem Einstellung/Handlung zusammenfassend Reiner, Robert, The politics of the police, Brighton 1985, S. 124 ff. [11] Südwestzeitung v. 15.12.1982 [12] Gössner/Herzog, Der Apparat, Köln 1982, S. 150 [13] Frankfurter Rundschau v. 19.10.1991 und 25.10.1991 [14] Die Zeit v. 2.6.1989 [15] vgl. Reiner, R., a.a.O., S. 100 ff. [16] vgl. Frankfurter Rundschau, 1.6.1989 [17] vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 8.6.1989 und Süddeutsche Zeitung v. 8.6.1989 [18] Die Definition stützt sich auf van den Broek, Linda, Am Ende der Weißheit. Vorurteile überwinden, Berlin 1988, S. 332 [19] vgl. Katz, J., White awareness - Handbook for anti-racism training, University of Oklahoma 1978; zu den Problemen im Polizeibereich, Southgate, P.K., Racism Awareness Training for the Police, Home office reasearch and Plannung Unit, paper 29, London 1984 und van den Broek, L., a.a.O., die ihr Konzept auch in der niederländischen Polizei anwandte. [20] vgl. zu den folgenden Punkten Pearson, G., Sampson, A., Blagg, H., Stubbs, P., Smith, D., Policing Racism, in: Coming to terms with policing, ed. by Morgan, R., Smith, D., London 1989, S. 118-137, und Reiner, R., a.a.O., S. 124 ff. [21] The Financial Times v. 2.12.1992 |
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