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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/1993)

abstand

Berliner Polizei und Rechtsextremismus

Versuch einer Situationsbeschreibung


von Eckhardt Lazai


Im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Diskussion um eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus und damit einhergehender Gewalttaten kommt der Frage nach der Rolle, welche die Polizei dabei wahrnehmen kann und soll, von Anfang an eine zentrale Bedeutung zu. Es ist festzustellen, daß diese hierbei oftmals stark überschätzt wird. Rufe nach dem starken Staat, nach mehr Befugnissen und besserer Ausrüstung für die Polizei sowie nach schärferen Gesetzen lassen außer acht, daß polizeiliches Handeln nur die Symptome, nicht aber die Ursachen für den Rechtsextremismus bekämpfen kann.

Natürlich muß in der gegenwärtigen Situation diskutiert werden, welche Funktion dem Instrument des 'Strafens' in unserer Gesellschaft zukommt. Auch muß die Polizei organisatorisch, personell, materiell und rechtlich in der Lage sein bzw. versetzt werden, ihrem gesetzlichen Auftrag - hier dem Schutz der Menschenrechte ausländischer Mitbürger sowie der Strafverfolgung - nachzukommen.

Wo die Gesellschaft mit allen ihren Interessengruppen, ihren sozialen und politischen Institutionen gefordert ist, kann - und muß - die Polizei jedoch nur einen eingeschränkten Beitrag zur Lösung des Problems leisten. In einigen Bundesländern haben die Polizeibehörden bereits organisatorisch auf die Zunahme der rechten Gewalt reagiert. In Sachsen etwa wurde die 'Soko-Rex' eingerichtet (siehe S. 59). Die gute personelle und materielle Ausstattung der Dienststelle, verbunden mit einigen Fahndungserfolgen, führte zu einer Verunsicherung der rechtsextremen Szene. Es zeigt sich, daß ein effektives Handeln im Rahmen der geltenden Gesetze möglich ist.

Die Situation in Berlin

Auch in Berlin hat die Polizeibehörde inzwischen organisatorisch auf die Herausforderung von 'rechts' reagiert. Im Jahr 1991 nahm die Stadt in der bundesweiten Statistik der Gesetzesverletzungen mit erkennbarem oder vermutetem rechtsextremistischen Hintergrund noch einen mittleren, bei den Brandanschlägen auf Ausländer- und Asylbewerberwohnheime den vorletzten Platz ein. Rechtsextremistische Gewalttaten gegen Personen und Sachen haben 1992 jedoch auch in Berlin deutlich zugenommen. Lag die Zahl der erfaßten Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation 1991 noch bei 51, so stieg sie im letzten Jahr auf 80 Gewalttaten, bei denen drei Menschen ums Leben kamen.[1] (Siehe auch S. 46)

Diese besorgniserregende Entwicklung führte zur Einrichtung der zur Zeit aus vier Kommissariaten sowie einer operativen Einheit (aus Schutzpolizeibeamten bestehenden) Dienststelle 'Politisch motivierte Straftaten (PMS)' beim polizeilichen Staatsschutz. Diese Organisationseinheit hat den Auftrag, politisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund aufzuklären.

Extremismus in den eigenen Reihen

Bei der Diskussion, welche Rolle der Polizei bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus zukommen soll, wurde in der Vergangenheit häufig übersehen, daß auch PolizistInnen selbst durch fremdenfeindliches Handeln in die Schlagzeilen geraten sind.

Selbst wenn einige Boulevardblätter die Polizei in ihrer Gesamtheit überspitzt als ausländerfeindlich und rechtslastig darstellen, muß doch davon ausgegangen werden, daß auch bei Polizisten Vorbehalte gegen Ausländer vorhanden sind.

Eine besondere 'Qualität' hat diese Feststellung durch den Skandal um die 'Freiwillige Polizei-Reserve (FPR)' gewonnen: Als die Berliner Kriminalpolizei Anfang Februar 1993 einen international agierenden, rechtsextremistischen Waffenhändlerring aushob, gerieten auch fünf Mitglieder der FPR ins Visier.[2] Weitere Ermittlungen führten zu dem Verdacht, daß Angehörige der FPR, die bspw. auch Asylbewerberheime bewacht oder Objektschutzstreifen bei jüdischen Einrichtungen durchführt, sich im Dunstkreis sog. Wehrsportgruppen bewegten.

Inzwischen sind etwa 40 Kriminalbeamte damit befaßt, alle ca. 2400 Angehörigen der Polizeireserve zu überprüfen. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, daß einige der FPR-Angehörigen trotz erheblicher Straftaten eingestellt wurden. Bisher wurden 44 Personen ermittelt, deren Vergehen schwer genug waren, um sie aus der FPR auszuschließen.[3]

Zusätzlich besteht zumindest der Verdacht einer gezielten rechtsextremen Unterwanderung dieser Einheit.[4]

Die Diskussion um die FPR sowie Presseberichte, in denen Übergriffe von PolizeibeamtInnen gegen AusländerInnen geschildert werden, werfen die Frage auf, wie die Polizei mit derartigen Vorfällen in den eigenen Reihen umgeht. Schwerpunktmäßig soll hierbei nachfolgend auf Maßnahmen der Aus- und Fortbildung eingegangen werden.

Es ist zu hoffen, daß das vorhandene Problem der Ausländerfeindlichkeit und extremistischer Äußerungen in den eigenen Reihen nicht negiert, sondern offen angesprochen und problematisiert wird.

Toleranz als Ausbildungsziel

Seit einiger Zeit ist festzustellen, daß viele PolizeibeamtInnen sich überfordert fühlen, tatsächlich überlastet oder einfach nur frustriert sind. Die in Teilbereichen ständig steigende Kriminalität führt bei vielen zu einem Gefühl der Ohnmacht. Zunehmend wird den etablierten Parteien nicht mehr zugetraut, mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemen fertig zu werden. Tatsächlich vorhandene Probleme, insbesondere im Zusammenhang mit dem Wohlstandsgefälle in Europa und der damit einhergehenden steigenden Kriminalitätsbelastung bestimmter Ausländergruppen, führen verstärkt zu Pauschalurteilen unter Kollegen. Radikale und extremistische Parteien und Gruppierungen bieten hier scheinbar 'einfache' Lösungen an, die angesichts der in der gesamten Gesellschaft festzustellenden Parteienverdrossenheit auch bei einigen PolizeibeamtInnen auf fruchtbaren Boden fallen.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die große Mehrheit der PolizeibeamtInnen bekennt sich zur Demokratie und zum Rechtsstaat und lehnt extremistisches Gedankengut ab. Nur durch offensives Herangehen an die Problematik kann bei den betroffenen BeamtInnen jedoch eine Verhaltensänderung erreicht werden!

Zunächst ist schon bei der Einstellung darauf zu achten, daß auch andere Schichten der Bevölkerung stärker als bisher für den Polizeidienst gewonnen werden. Polizei muß immer ein Spiegelbild der gesamten Gesellschaft sein! Daher sollten verstärkt in Deutschland lebende Jugendliche ausländischer Herkunft für den Polizeibereich gewonnen werden.

Dieses ist in anderen europäischen Staaten - beispielsweise in den Niederlanden sowie Großbritannien - bereits mit Erfolg praktiziert worden. Gerade in Wohngebieten mit einem hohen Bevölkerungsanteil von Menschen ausländischer Herkunft können die bei diesen BeamtInnen vorhandenen Mentalitätskenntnisse u.U. deeskalierend wirken. Im Innenverhältnis kann es durch die gemeinsame Dienstverrichtung zu einem Abbau von Vorurteilen kommen.

Im Bereich der Aus- und Fortbildung ist, neben dem 'Hinausschauen über den polizeilichen Tellerrand' durch die Diskussion mit externen Referenten, die persönliche Begegnung mit Vertretern ethnischer und gesellschaftlicher Minderheiten im Rahmen gemeinsamer Aktivitäten zu fördern.

In Berlin gibt es in diesem Zusammenhang verstärkt Aktivitäten des Referats 'Politische Bildung' sowie des Sozialwissenschaftlichen Dienstes der Polizei. Alle BeamtInnen, die für den mittleren Vollzugsdienst ausgebildet werden, besuchen im Rahmen des Fachs 'Politische Bildung' ein Asylbewerberheim, um mit HeimbewohnerInnen und SozialarbeiterInnen zu diskutieren.Zusätzlich besteht die Möglichkeit, das dreiwöchige Sozialpraktikum dort abzuleisten. In Zusammenarbeit mit den 'Arbeitsgebieten Ausländer' (AGA) der örtlichen Berliner Polizeidirektionen werden gemeinsame Veranstaltungen von ausländischen Jugendlichen sowie Polizeianwärtern organisiert, bspw. Moscheebesuche sowie Fußballturniere. Ähnliche Aktivitäten werden auch von der Bereitschaftspolizei in unregelmäßigen Abständen durchgeführt. Einen wachsenden Stellenwert hat zudem das Verhaltenstraining des Sozialwissenschaftlichen Dienstes. Die insgesamt dreiwöchigen Seminare für Anwärter des mittleren Dienstes haben unter anderem die Zielsetzung, möglicherweise vorhandene Vorbehalte gegenüber Minderheiten zu thematisieren und abzubauen.

Ein Verhaltenstraining wird auch als Fortbildungsveranstaltung, bspw. in der zweiwöchigen Trainingsphase für die Bereitschaftspolizei, angeboten. Das Referat 'Politische Bildung' hat es sich zum Ziel gesetzt, Fortbildungsveranstaltungen gemeinsam mit Vertretern ethnischer sowie gesellschaftlicher Minderheiten durchzuführen. Tagesseminare für die Kriminalpolizei finden in der 'Neuen Synagoge - Centrum Judaicum' statt, auch mit VertreterInnen der hier lebenden Ausländer werden Veranstaltungen durchgeführt.

Handlungsbedarf bleibt

Die geschilderten Aktivitäten sind sicher als Schritte in die richtige Richtung zu bezeichnen. Zusätzlich sollten jedoch Antidiskriminierungs-Trainings für alle PolizeibeamtInnen eingeführt werden, in denen Lösungsstrategien für den Umgang mit ausländerspezifischen Konflikten im polizeilichen Alltag erarbeitet werden. Ansätze dafür gibt es bereits in den Niederlanden und Großbritannien. Um die Zusammenarbeit der mit diesem Themenfeld befaßten Polizeipraktiker zu verstärken, hat der Europarat in Straßburg im September 1992 eine Tagung veranstaltet, auf der PolizeibeamtInnen verschiedener europäischer Länder die jeweiligen Aus- und Fortbildungskonzepte zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Polizei und ethnischen Minderheiten vorstellten.

Ein Handlungsbedarf besteht nicht nur in Deutschland!

Eckhardt Lazai ist Kriminaloberkommissar und Fachlehrer für Politische Bildung bei der Berliner Polizei. Daneben betreut er das sozialintegrative Projekt "Kick - Sport gegen Jugenddelinquenz" von Polizei, Sportjugend und Sozialarbeitern.



[1] Verfassungsschutzbericht Berlin, 1992
[2] Der Tagesspiegel v. 4.2.1993
[3] Berliner Zeitung v. 26.2.1993
[4] Berliner Zeitung v. 13.2.1993

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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 03.02.2001 - letzte Änderung am 16.09.2002