Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/1993) |
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Das Polizeidebakel von RostockVersuch einer analytischen Würdigung |
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von Otto Diederichs |
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Was in der Nacht des 22. August 1992 im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen begann, hat fraglos die innenpolitische Entwicklung der Bundesrepublik nachhaltig verändert: Ohne daß sich die Polizei in der Lage gesehen hätte, ihnen ernsthaft Widerstand entgegen zu setzen, griffen ca. 150-200 zumeist jugendliche Randalierer - beklatscht von Eltern und Nachbarn - die inmitten einer für die frühere DDR typischen Plattenbau-Siedlung liegende 'Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt)' mit Steinen und Molotow-Cocktails an. Am Abend des 23.8. versuchten sie, inzwischen auf ca. 500 angewachsen, erneut, die ZASt zu stürmen. Bis in die frühen Morgenstunden des folgenden Tages dauerten die Auseinandersetzungen. Am Abend des gleichen Tages erreichte die Gewalt ihren Höhepunkt: die (unterdessen geräumte) ZASt sowie ein danebenliegendes (bewohntes) Wohnheim für Vietnamesen wurden in Brand gesetzt. Erst am Dienstag, den 25.8.1992 gegen 3.00 Uhr morgens ebbten die Kämpfe ab. Zwar hatte es rund ein Jahr vorher im sächsischen Hoyerswerda eine ähnliche Aktion gegeben. Diese war jedoch bei weitem nicht so spektakulär und dementsprechend weniger beachtet worden. Die Bilder von Rostock indessen gingen um die Welt. Wer versucht, den Ursachen dieser 'Polizeipleite' im vielfältigen Interessengestrüpp zwischen Rostock und Schwerin nachzugehen, gewinnt schnell den Eindruck, daß eine restlose Aufklärung vermutlich kaum möglich sein, vor allem aber von keiner der beteiligten Seiten ernsthaft betrieben wird. Asylpolitik in RostockKontinuierlich wuchs in den Jahren 1991/92 die Zahl der in Rostock-Lichtenhagen untergebrachten AsylbewerberInnen an. Im Sommer 1992 eskalierte die Situation. Die ZASt war restlos überfüllt, die Menschen lagerten bereits im Freien, und täglich trafen weitere Asylsuchende - vor allem Roma aus Rumänien - ein oder wurden von Schleppern einfach dort abgesetzt.[1] Bereits ein Jahr zuvor, am 26.7.1991, hatte Rostocks Oberbürgermeister Klaus Kilimann (SPD) sich an das Schweriner Ministerium gewandt und dem damaligen Innenminister Georg Diederich (CDU) mitgeteilt, die Zustände in und um die ZASt seien unhaltbar geworden, so daß er das Schlimmste befürchte: "Schwerste Übergriffe bis hin zu Tötungen sind nicht mehr auszuschließen".[2] Einen Monat später, am 28.8.1991, hatte der Minister dem Bürgermeister sein Verständnis bekundet und zugleich bedauert, keine schnelle Abhilfe schaffen zu können.[3] Ungeachtet weiterer Eingaben der Rostocker Kommunalpolitiker sowie von Lichtenhagener Bürgern blieb die Situation im wesentlichen wie sie war. Auch das, was die Rostocker Stadtregierung selbst hätte unternehmen können, wurde bewußt unterlassen. So erklärte z.B. der Rostocker Innensenator Peter Magdanz (SPD) gegenüber seinem Parteifreund, dem Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion in Schwerin, Knut Degner, "daß es sehr wohl alternative Unterkunftsmöglichkeiten für die Roma gegeben hätte. Es hätte beispielsweise in seiner Macht gestanden, die Asylbewerber in Turnhallen unterzubringen", dies habe er jedoch abgelehnt, da "die Roma dann mit Rumänien telefonieren und man am nächsten Abend vor demselben Problem steht".[4] Als Degner dies unter dem Eindruck der Rostocker Krawallnächte der Öffentlichkeit mitteilte, verlor er in der Folge seine bisherige Aufgabe.[5]5 Die allgemeine Lage und die Stimmung der BürgerInnen in Lichtenhagen war somit allen Verantwortlichen nicht unbekannt. In dieser Situation erschien in einer Lokalzeitung - drei Tage vor dem Krawallwochenende - die folgende Nachricht: "Wenn die Stadt nicht bis Ende der Woche in Lichtenhagen für Ordnung sorgt, dann machen wir das. Und zwar auf unsere Weise. Mit diesen Worten meldete sich ein anonymer Anrufer im Namen einer 'Interessengemeinschaft Lichtenhagen' gestern in unserer Redaktion, (...). In der Nacht vom Samstag zum Sonntag räumen wir in Lichtenhagen auf. Das wird eine heiße Nacht, droht der Anrufer unverhohlen".[6] Der kommentarlose Abdruck einer anonymen Drohung, die in der beschriebenen Situation nahezu zwingend einen Mobilisierungseffekt auslösen mußte, ist für eine seriöse Zeitung ungewöhnlich. (Bis heute wollen denn auch Gerüchte nicht verstummen, der Anrufer könne so anonym nicht gewesen sein.) Zwei Tage später veröffentlichte ein anderes Rostocker Lokalblatt ein Interview mit drei Jugendlichen: "Wir werden am Sonnabend hier sein, sagte Chris. Die drei wollen davon wissen, daß die rumänischen Roma 'aufgeklatscht' werden sollen. Die Rechten haben die Schnauze voll! Wir werden dabei sein, sagte Thomas, und Du wirst sehen, die Leute, die hier wohnen, werden aus den Fenstern schauen und Beifall klatschen."[7] "Die Polizei kennt die Rostocker Skins und Hools. Wenn etwas so angekündigt wird, dann sind wir da", bekannte ein beteiligter Skinhead später dem Nachrichtenmagazin `Der Spiegel'.[8] Das zu erwartende Szenario war demnach bekannt, und die Polizei in Rostock bereitete sich darauf vor, forderte sogar beim vorgesetzten Landespolizeiamt (LPA) in Schwerin einen zusätzlichen Einsatzzug an.[9] Die PolizeiNach der föderalen Neuordnung der einstigen DDR übernahmen die alten Länder der Bundesrepublik jeweils 'Patenschaften' für die Neu-Länder. Damit wurden nicht nur die wesentlichen Verwaltungs- und Organisationsstrukturen der 'Paten' auf die neuen Bundesländer übertragen[10], zumeist wurden auch die Führungspositionen komplett mit abgeordnetem Personal der Partnerländer besetzt. Von Ausnahmen abgesehen sind dies vielfach Beamte, die aufgrund der in den Neu-Ländern für sie günstigeren Beförderungsmöglichkeiten freiwillig um eine entsprechende Versetzung baten und deren Familien zumeist noch im Westen leben. "Ab 14.00 Uhr freitags", ärgern sich Ost-Polizisten immer wieder, "steht beim Lagedienst das Telefon nicht mehr still. Da erkundigen sich die Herren alle nach den Verkehrsverhältnissen auf den Autobahnen Richtung Westen. Und vor Montag mittag braucht man dann nirgendwo mehr anzurufen." Für die Polizei Mecklenburg-Vorpommerns bedeutete dies, daß unterhalb des Innenministers (seit dem 19.2.1993 ist mit Rudi Geil (CDU) auch diese Funktion mit einem Politiker aus dem Westen besetzt) die Leitungsfunktionen im Ministerium mit Männern des Innenministeriums Schleswig-Holsteins besetzt wurden (Staatssekretär = Klaus Baltzer; Abteilungsleiter Öffentliche Sicherheit = Olaf von Brevern; Abteilungsleiter für Ausländerfragen im Innenministerium und zum damaligen Zeitpunkt zugleich Ausländerbeauftragter der Landesregierung = Winfried Rusch[11]). In die Führung der Polizei rückten ebenfalls Männer aus den 'Patenländern' Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen:
Bleibt die Ausrüstung der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern. Während diese heute einen Standard haben soll, "nach dem sich manches westliche Bundesland die Finger lecken würde", wie es ein Polizeigewerkschaftler ausdrückt, sah dies vor einem halben Jahr, zum Zeitpunkt der Randale, noch anders aus.[12] Körperschutzausrüstungen waren zwar zentral eingelagert, jedoch erst in geringer Stückzahl ausgegeben worden. Abschußgeräte für Tränengaspetarden waren in Rostock nicht mehr vorhanden, nachdem die Altbestände der DDR-Zeit ausgemustert worden waren. (Die einstige Volkspolizei besaß hierfür Abschußbecher sowjetischer Bauart, die auf die Kalaschnikow aufgeschraubt wurden. Da niemand Bilder riskieren wollte, auf denen die Polizei u.U. mit Maschinenpistolen in Formation gegen eine Menschenmenge vorging, waren diese nach der Vereinigung umgehend verschrottet worden.) Anstelle der im Westen üblichen durchsichtigen Plastikschilde war die Polizei in Rostock noch mit den undurchsichtigen und splitterfreudigen, "Trabbihauben" genannten Plasteschilden aus DDR-Zeiten ausgerüstet. Für den Funkverkehr standen in Rostock lediglich zwei Funkkreise zur Verfügung. FührungsqualitätenNachdem er die aus Rostock angeforderten Kräfte ordnungsgemäß unterstellt hatte, fuhr LPA-Leiter Heinsen - ebenso wie die übrigen Spitzenbeamten - ins Wochenende zu seiner Familie.[13] Für solche Fälle bestehen allerorten Bereitschaftsdienste, welche die laufende Arbeit erledigen und für den Eventualfall mit ihren Chefs in Rufbereitschaft stehen. Unterstellt, daß das entschlossene Vorgehen der Randalierer unterschätzt worden ist, mag man mit einigem guten Willen über den mißlungenen Polizeieinsatz von Samstag, den 22.8.1992, hinwegsehen. Für den nächsten Tag gelingt dies jedoch nicht mehr. Die Bilder von Rostock sind unterdessen von allen Fernsehsendern mehrfach bundesweit ausgestrahlt worden. Damit wirft das weitere Verhalten der vorgenannten Beamten seltsame Schatten, denn offenbar hielt es keiner der Verantwortlichen für nötig, umgehend das Wochenende abzubrechen und, wie es seine Pflicht gewesen wäre, seine für derartige Situationen festgelegten Aufgaben zu übernehmen. Innenstaatssekretär Baltzer mußte von Ministerpräsident Berndt Seite (CDU) gar erst persönlich nach Schwerin zurückbeordert werden.[14] Polizeiamtsleiter Heinsen zog sich später auf mangelnde Informationen aus Rostock zurück. "Wiederholte Rücksprachen mit der PD Rostock sowohl durch mich als auch durch das Lagezentrum des LPA veranlaßten die Polizeidirektion Rostock durchgehend zu der Darstellung, daß die Gesamtlage führungs- und einsatzmäßig sicher beherrscht wurde".[15] Erst "nach den Vorkommnissen des Einsatzes am Abend des 24.08.1992", nachdem die ZASt und das danebenliegende Wohnheim der Vietnamesen in Brand gesetzt worden war, sei ihm klargeworden, "daß die PD Rostock die weiteren Einsatzmaßnahmen aus eigener Kompetenz nicht mehr sicher wahrnehmen konnte".[16] Anders liegt der Fall des Rostocker Polizeichefs Kordus. Da sein designierter Nachfolger, Polizeidirektor Dieter Hempel, sich seinerzeit in Urlaub befand, lag die Verantwortung für die PD Rostock noch bei Kordus, der damit für das sich entwickelnde Desaster formal voll verantwortlich ist. Als Kriminalbeamter ist er zur Führung eines größeren schutzpolizeilichen Einsatzes mangels entsprechender Ausbildung allerdings nicht in der Lage. Sein Versagen liegt deshalb nicht unmittelbar vor Ort in Lichtenhagen begründet, sondern darin, in der Einschätzung der Geschehnisse und der Koordination der daraus sich ergebenden Maßnahmen eklatant versagt zu haben und somit nicht, zumindest nicht rechtzeitig, um Verstärkungen nachgesucht zu haben. Mit dazu beigetragen haben mag möglicherweise das Verhältnis zu seinem Stellvertreter Deckert, von dem sogar die Möwen im Rostocker Hafen wissen, daß es mehr als unterkühlt war. Ob POR Jürgen Deckert, der als einziger nach Bekanntwerden der schweren Ausschreitungen die Fahrt ins heimatliche Bremen unterbrach und nach Rostock zurückkehrte[17], mit der Führung des Einsatzes überfordert war[18], ist hier weder zu beurteilen, noch weiter relevant. Ein Polizeiführer, der drei Tage hintereinander massive, z.T. in Tötungsabsicht vorgetragene Angriffe abzuwehren hat, dem neben einer Verbindung zur übergeordneten Polizeidirektion nur ein Funkkanal zur Führung der vor Ort eingesetzten Mannschaften zur Verfügung steht und dem darüber hinaus angeforderte Verstärkungen verweigert werden, kann letztlich nur scheitern. Bei seinen Beamten - von denen sich etliche (was im Westen nahezu undenkbar ist), trotz z.T. behandlungsbedürftiger Verletzungen, wieder zum Einsatz zurückgemeldet hatten - gilt Deckert als beliebter Vorgesetzter. Das mag daran liegen, daß sich Mannschaften vorzugsweise mit jemandem solidarisieren, der mit ihnen 'im Feuer' war und der in der Hierarchie der Verantwortlichen an letzter Stelle steht. Weiterhin genießt Deckert die Unterstützung der 'Gewerkschaft der Polizei (GdP)'. Unbequeme Fragen ohne AntwortenWesentliche Einsatzsituationen, die in der Presse eine zentrale Rolle spielen, können hier nicht erörtert werden. Etwa der als "Pakt von Rostock"[19] bekanntgewordene unsinnige Versuch Deckerts, über einen selbsternannten Vermittler mit den Randalierern zu einer Art Waffenstillstand zu gelangen, der letztlich dann im Brand der ZAST und des Wohnheimes mündete. Ebensowenig die zu einem "Hemdenwechsel"[20] umgedeutete Abwesenheit von Polizeichef Kordus während der entscheidenden Phasen der Brandnacht, als er, vorliegenden Informationen zufolge, in Wahrheit zu Hause schlief[21]; oder das Verhalten von Innenminister Lothar Kupfer (CDU), der bei nahezu allen Einsatzbesprechungen in der Rostocker Polizeidirektion dabei gewesen sein will[22], ohne je selbst etwas entschieden zu haben.[23] Ganz zu schweigen von einer etwaigen Steuerung durch (west)deutsche Neo-Nazis[24], oder ... oder. Diese und weitere Fragen sind seriös hier nicht zu klären, zu dicht wuchert das Gestrüpp divergierender Interessen und gegenseitiger Abhängigkeiten. Statt dessen wird auf einige Aspekte hingewiesen, die bislang überhaupt noch keine Beachtung fanden:
Der Untersuchungsausschuß in SchwerinUngewöhnlich schnell beschloß der mecklenburgische Landtag am 28.8.1992, nur vier Tage nach dem Ende der Krawalle, die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung der Rostocker Vorfälle. Nach den Erfahrungen mit den meisten bisherigen Untersuchungsausschüssen, die gemeinhin als "schweres Geschütz"[32] parlamentarischer Kontrolltätigkeit gelten, sollte man von diesem Gremium nicht allzuviel erwarten. In der Regel scheitert eine wirkliche Sachaufklärung schon am Desinteresse oder der Inkompetenz der meisten Ausschußmitglieder. Wo wirklich brisante Vorgänge offenbar werden könnten, wird dies zumeist durch nichtöffentliche Absprachen über die Parteigrenzen hinweg erledigt. Was sich der "Parlamentarische Untersuchungsausschuß zu den Ereignissen um die ZASt (Zentrale Aufnahmestelle) für Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern" in Schwerin allerdings leistet, ist schon besonderer Erwähnung wert. Nach der formellen Einsetzung tat sich außer kleinlichem Gezänk um das weitere Prozedere erst einmal vier Wochen lang gar nichts, bevor dann zunächst die ausgebrannte ZASt besichtigt wurde. Abgesehen von dem SPD-Abgeordneten Manfred Rißmann ließen (und lassen) es die beiden Oppositionsparteien SPD und PDS geschehen, daß angeforderte Akten verspätet[33] oder unvollständig[34] überstellt werden. (Daß die Aktenvorbereitung im Innenministerium zudem auf oberster Ebene und im engsten Kreise erledigt wird, sei nur am Rande erwähnt.) Auch daß Innenminister Kupfer - weit ans Ende der Zeugenbefragungen plaziert[35] - einen Ministerialbeamten in die Ausschußsitzungen entsendet[36] und sich so, über den Sachstand stets voll informiert, entsprechend präparieren kann, ist kein Thema. Was immer das Motiv für das Desinteresse der PDS sein mag, die Motive der SPD[37] liegen offen: Mit dem Rostocker Oberbürgermeister Kilimann und seinem Innensenator Magdanz sind zwei ihrer Parteigenossen unmittelbar in den Skandal verwickelt. Aufklärung erwartet von diesem Gremium denn auch schon lange niemand mehr![38] Unbehagliche SchlußfolgerungenDaß trotz der eingangs skizzierten Ausgangslage 'Rostock' lediglich eine Gemengelage aus Inkompetenz, menschlichem Versagen und mangelnder Ausstattung gewesen sein soll, ist schwer zu glauben. Eine solche Schlußfolgerung griffe zu kurz, denn zu viele `Zufälle' treffen hier aufeinander. Eher ist zu vermuten, daß im Spätsommer 1992 das bisherige ministerielle Desinteresse an der ZASt und ihren Bewohnern sowie die in der Bundesrepublik allgemein zunehmende Fremdenfeindlichkeit sich auf der Polizeiebene fortsetzte. Bei streng hierarchisch strukturierten Organisationen wie der Polizei, die zudem traditionell eher konservativ ausgerichtet ist, setzen sich solche Stimmungen in der Regel schnell durch. Ministerielle Untätigkeit findet so ihre Entsprechung in der Polizeiführung und von dort - in einer Art vorauseilendem Gehorsam - von oben nach unten, durch alle Entscheidungsebenen. Dies um so leichter, wenn man sich zugleich auch eines allgemeinen gesellschaftlichen Konsenses sicher sein kann. So geriet der wachsende Fremdenhaß in Lichtenhagen auf den Entscheidungswegen zwischen Rostock und Schwerin zu einem institutionalisierten Rassismus, bei dem niemand eine Notwendigkeit sah, mehr als das routinemäßig unbedingt Nötigste zu tun. Daß eine solche Haltung die Gewalttätigkeiten in Rostock-Lichtenhagen immer weiter eskalieren und mit den Brandstiftungen vom 24.8.1992 endgültig aus dem Ruder laufen ließ, hätte über 100 Menschen beinahe das Leben gekostet. Dennoch brauchen sich die unmittelbar Verantwortlichen selbst im nachhinein keine größeren Gedanken über eigenes Fehlverhalten zu machen. In stillschweigendem Konsens setzt sich die bisherige Haltung fort. Mit dem nach monatelangem Zögern im Februar unausweichlich gewordenen Hinauswurf von Innenminister Kupfer aus dem Schweriner Kabinett soll der Fall politisch gelöst sein. Auf polizeilicher Ebene ist Polizeioberrat Deckert allem Anschein nach derjenige, an dem letztlich die alleinige Verantwortung für das Debakel hängenbleiben soll, bevor endgültig die Akten geschlossen werden können. EpilogAm Dienstag, dem 25.8.1992, einen Tag nach dem Brand, verlegte LPA-Chef Heinsen "eine Führungsgruppe des LPA in das Gebäude der PD Rostock".[39] Ausgerüstet war diese Gruppe u.a. mit Funkgerät für nun sieben separate Kommunikationsstränge. Am Nachmittag erreichte auch Heinsen selbst die Ostseestadt: "Somit lag ab dem 25.08.1992, 17.30 Uhr, die Einsatzleitung bei mir".[40] Am nächsten Tag begann bundesweit die Mobilisierung zu einer Großdemonstration "Stoppt die Pogrome" für den kommenden Samstag (29.8.1992) in Rostock.[41] Die polizeiliche Vorbereitung auf diese Demonstration lag ebenso wie die Einsatzleitung bei Heinsen und ging erst "mit Wirkung ab Sonntag, dem 30.08.1992, 12.00 Uhr, (...) wieder auf die zuständige Polizeidirektion Rostock über".[42] Der Polizeieinsatz gegen die am Samstag in friedlicher Absicht anreisenden ca. 15.000 DemonstrantInnen lief wie aus dem Polizeihandbuch. Wasserwerfer, Sonderwagen und -kommandos, Hubschrauber, insgesamt waren über 3.000 Beamte im Einsatz.[43] Was tagelang nicht möglich war, funktionierte nun wieder reibungslos. Er freue sich, "insbesondere auch für die Rostocker Bevölkerung, aber auch für das Bild dieser Stadt in der Öffentlichkeit, daß die Demonstration weitgehend friedlich verlaufen" sei[44], bedankte sich Innenminister Kupfer anschließend in einem Brief an seinen Bonner Amtskollegen für dessen Unterstützung durch Bundesgrenzschutzverbände. In welchem Zustand befindet sich diese Republik? Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP. [1] Der Tagesspiegel v. 25.8.1992 [2] die tageszeitung v. 5.9.1992 [3] Antwortbrief des Innenministers v. 28.8.1991 [4] die tageszeitung v. 2.9.1992, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 7.11.1992 und 28.1.1993 [5] Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 3.9.1992, Der Tagesspiegel v. 13.1.1992 [6] Norddeutsche Neueste Nachrichten v. 19.8.1992 [7] Ostsee-Zeitung v. 21.8.1992 [8] Der Spiegel v. 28.12.1992 [9] Schreiben des Landespolizeiamtes an das Innenministerium v. 7.9.1992 (Az.: 14.006/14.22 hei-hk) [10] siehe hierzu: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 38 (1/1991) [11] Berliner Zeitung v. 2.2.1993 [12] vgl. Deutsche Polizei 10/92 [13] Der Spiegel v. 30.11.1992 [14] Süddeutsche Zeitung v. 24.11.1992 [15] Schreiben des Landespolizeiamtes a.a.O. (Fn. 9) [16] ebd. [17] Berliner Zeitung v. 2.2.1993 [18] Der Spiegel v. 28.12.1992 [19] siehe hierzu: die tageszeitung v. 1.2.1993, Der Spiegel v. 8.2.1993, Berliner Zeitung v. 10.2.1993 [20] vgl. Der Spiegel v. 28.12.1992 [21] Süddeutsche Zeitung v. 26.8.1992, die tageszeitung v. 1.2.1993 [22] Der Spiegel v. 23.11.1992, 30.11.1992 und 28.12.1992 [23] Berliner Morgenpost v. 24.11.1992 und 30.1.1993 [24] Berliner Zeitung v. 25.8.1992, Der Tagesspiegel und Frankfurter Rundschau v. 26.8.1992 [25] "Wehrhafte Demokratie und Rechtsextremismus", Hg. Bundesministerium des Innern, 1992 [26] ebd., S. 88 [27] ebd., S. 91 [28] siehe hierzu: Frankfurter Rundschau v. 26.8.1992, Norddeutsche Neueste Nachrichten v. 26.10.1992, die tageszeitung v. 16.1.1993, Westdeutscher Rundfunk v. 27.1.1993 (Dokumentation: "Wer Gewalt sät ...") [29] Der Spiegel v. 23.11.1992 [30] vgl.: Berliner Morgenpost v. 26.8.1992 [31] Der Spiegel v. 23.11.1992 [32] Das Berliner Parlament: Struktur und Arbeitsweise des Abgeordnetenhauses von Berlin, S. 119 [33] siehe hierzu: die tageszeitung v. 9.10.1992, Berliner Zeitung v. 4.12.1992, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.1.1993 [34] siehe hierzu: Der Tagesspiegel v. 13.1.1993, die tageszeitung v. 30.1.1993 [35] Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.10.1992 [36] Frankfurter Rundschau v. 30.1.1993, Berliner Zeitung v. 2.2.1993 [37] die tageszeitung v. 7.11.1992 [38] siehe hierzu: Der Tagesspiegel v. 13.1.1993, Frankfurter Rundschau v. 30.1.1993, die tageszeitung v. 1.2.1993, Berliner Zeitung v. 2.2.1993, Süddeutsche Zeitung v. 5.2.1993 [39] Schreiben des Landespolizeiamtes a.a.O. (Fn. 9) [40] ebd. [41] die tageszeitung v. 27.8.1992 [42] Schreiben des Landespolizeiamtes a.a.O. (Fn. 9) [43] Der Tagesspiegel v. 30.8.1992 [44] BGS 10/92 |
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© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1993-2002 HTML-Auszeichnung: Martina Kant Erstellt am 03.02.2001 - letzte Änderung am 16.09.2002 |