Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/1993) |
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Die Erfassung rechtsextremistischer StraftatenWirrwarr auf ganzer Linie |
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von Kea Tielemann |
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In den zurückliegenden Wochen und Monaten wurden von Verfassungsschutz und Polizei diverse Abhandlungen und Statistiken veröffentlicht, die die reale Zunahme rechtsextremer Gewalttaten für die Jahre 1991 und 1992 dokumentieren sollen. Vergleicht man diese Statistiken miteinander, so ergeben sich trotz einer unterdessen eingeführten bundeseinheitlichen Definition z.T. erhebliche Widersprüche, da die erfaßten Delikte unterschiedlich zugeordnet werden.[1] Seit dem März 1992 werden unter "fremdenfeindlichen Straftaten" bundesweit einheitlich jene Tatbestände verstanden, "die in der Zielrichtung gegen Personen begangen werden, denen der Täter (aus intoleranter Haltung heraus) aufgrund ihrer
Es handelt sich insbesondere um Straftaten gegen
Die AnfängeZuvor hatte sich Ende 1991 bereits die Staatsschutz-Kommission der 'Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes' (AG Kripo) im Auftrag der Innenministerkonferenz (IMK) darum bemüht, zu einer bundeseinheitlichen Regelung zu kommen. Aus Anlaß der Zunahme fremdenfeindlicher Straftaten nach den Ausschreitungen im sächsischen Hoyerswerda im September 1991 setzte sie am 23.10.91 eine ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Erstellung eines Maßnahmenkatalogs zur Bekämpfung fremdenfeindlicher Gewalttaten ein. Dieser Katalog wurde am 15.1.92 von der 'Kommission Staatsschutz' beschlossen und am 26./27. März vom Arbeitskreis 'Innere Sicherheit' der Innenministerkonferenz (AK II) zur Kenntnis genommen. Die von der ad-hoc-Arbeitsgruppe vorgeschlagene Einrichtung eines Sondermeldedienstes wurde von der 'AG Kripo' jedoch abgelehnt, da sie wegen unscharfer Abgrenzungskriterien und fehlender rechtlicher Voraussetzungen als problematisch erschien.[3] Statt dessen wurde vereinbart, im Rahmen der bestehenden Richtlinien für den 'Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Staatsschutzsachen (KPMD/S)' die Daten über fremdenfeindliche Straftaten in der Arbeitsdatei 'PIOS Innere Sicherheit (APIS)'[4] zu erfassen. Weiterhin wurde beschlossen, in jedem Bundesland auf der Grundlage einer noch zu erstellenden einheitlichen Definition monatliche Lagebilder zu erstellen, die vom Bundeskriminalamt (BKA) zu einem Bundeslagebild zusammengefaßt werden sollten. Trotz der oben zitierten Einigung auf eine verbindliche Definition, räumte BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert noch im November 1992 ein, bestünden "angesichts des unterschiedlichen Meldeverhaltens der Polizeidienststellen (...) berechtigte Zweifel, daß dem Bundeskriminalamt als Zentralstelle alle fremdenfeindlichen Straftaten bekannt geworden"[5] seien. Fremdenfeindliche Straftaten werden demnach also nicht einheitlich als politisch motivierte Taten bewertet und infolgedessen nicht in den KPMD/S eingestellt. Zachert selbst geht davon aus, daß fremdenfeindliche Straftaten generell politisch motiviert sind, bezeichnet aber nicht alle Straftaten, die aus einer grundsätzlich negativen Einstellung zu Ausländern bzw. Fremden begangen werden, als rechtsextremistisch. Aus diesem Grunde stufte das BKA 1991 von den insgesamt 239 erfaßten Körperverletzungsdelikten mit politischer Motivation gegen Ausländer lediglich 66 Gewalttaten als rechtsextremistisch ein.[6] Die LandeskriminalämterDieses vom Bundeskriminalamt aufgestellte Kriterium gilt indes nicht einheitlich bei den Landeskriminalämtern. So unterscheidet z.B. das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg für 1992 nicht nur diese zwei, sondern gleich drei mögliche Motivationen für fremdenfeindliche Straftaten:[7]
Wie sich der Unterschied zwischen allgemeiner Abneigung und Haß gegen Asylbewerber dabei definiert, wird allerdings nicht näher erläutert. Als Belege für eine rechtsextremistische Beeinflussung gelten dem LKA neo-nazistische Schriften, Flugblätter, Tonträger, Embleme usw., die bei Durchsuchungen aufgefunden wurden, sowie die in Vernehmungen gewonnenen Angaben von Beschuldigten, aus denen eine antisemitische Einstellung, nationalsozialistisches Gedankengut u.ä. deutlich wird. Ein weiterer Vergleich der einzelnen LKA-Statistiken zeigt, daß Einheitlichkeit nur in der Erfassung klar abzugrenzender Delikte wie etwa bei Brandanschlägen oder Körperverletzungen gegeben ist. Endgültig problematisch, wenn nicht unmöglich, wird der Vergleich besonders in bezug auf sonstige Delikte, die überall gänzlich unterschiedlich definiert werden. So erfaßt z.B. Hamburg die Delikte Landfriedensbruch, Nötigung, Bedrohung und die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gesondert[8]; aus anderen Statistiken, z.B. denen Bayerns[9] und des Saarlandes,[10] ist jedoch nicht ersichtlich, ob diese Delikte unter den sonstigen zusammengefaßt oder teilweise überhaupt nicht berücksichtigt werden. Tabelle 1Fremdenfeindliche Straftaten 1992 nach Angaben der Landeskriminalämter
Anmerkungen:1 Alle Delikte, die nicht Brand-/Sprengstoffanschläge, Tötungen, Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen betreffen, sind unter sonstige Delikten zusammengefaßt, auch wenn einzelne Bundesländer Delikte wie z.B. Bedrohung oder Landfriedensbruch gesondert aufführen.2 Jan.- Nov. 1992 3 einschl. Sachbeschädigung 4 einschl. Anschläge auf Asylheime 5 einschl. Sachbeschädigung Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz[11]Die Jahresstatistiken des BKA lassen sich auch mit denen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) kaum vergleichen: So faßt das BfV z.B. alle "Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation" zusammen, d.h. es berücksichtigt neben fremdenfeindlichen Straftaten z.B. auch Übergriffe auf Autonome und Randgruppen. Laut BfV sind rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten danach seit 1991 im Vergleich zu 1990 um das Fünffache gestiegen. Während für die alten Bundesländer 1990 insgesamt 296 rechtsextremistische Gewalttaten, davon 152 fremdenfeindliche, registriert wurden, gibt das Bundesamt für Verfassungsschutz für 1991 und 1992 für die Bundesrepublik insgesamt folgende Zahlen an:[12] Tabelle 2Gewalttaten insgesamt
Das Kölner Amt führt zudem rechtsextremistische Gewalttaten, die fremdenfeindlich motiviert waren, gesondert auf:[13] Tabelle 3Fremdenfeindliche Gewalttaten
Selbst diese Statistiken scheinen jedoch nur einen Teil der tatsächlichen Gewalttaten zu erfassen. So weist das BfV etwa darauf hin, daß diese Zahlen nicht mit dem Bundeskriminalamt abgestimmt seien und sich erfahrungsgemäß aufgrund nachträglich eingehender Meldungen erhöhen werden.[14] Dies allein erklärt jedoch immer noch nicht, weshalb das BKA für 1991 fast die doppelte Anzahl von "Straftaten gegen Ausländer mit möglicherweise fremdenfeindlicher Motivation" nennt:[15] Tabelle 4Fremdenfeindliche Gewalttaten
Für 1992 hat das Bundeskriminalamt unterdessen von Januar bis November bereits 4.900 Straftaten mit vermuteter fremdenfeindlicher Motivation registriert.[16] Die Differenz zu den Zahlen des BfV ist zum einen damit zu erklären, daß beim Bundesamt in Köln nur ausgesprochene Gewalttaten wie Körperverletzung, Totschlag, Brandstiftung oder schwere Sachbeschädigung registriert werden, das Wiesbadener BKA hingegen zusätzlich auch Delikte wie das Verbreiten volksverhetzender Schriften und rassistische Beleidigungen erfaßt. Zum Wert von StatistikenZusätzlich muß bei der Interpretation der Statistiken wohl von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da viele der Geschädigten die Straftaten nicht zur Anzeige bringen. Hierfür gibt es die verschiedensten Gründe, wie etwa die Angst vor weiteren Übergriffen, nur geringes Vertrauen in die Polizei aufgrund schlechter Erfahrungen oder eben auch schlicht sprachliche Probleme. Aufgrund der bis 1992 fehlenden einheitlichen Definition ist ein seriöser Gebrauch der bis zu diesem Zeitpunkt ermittelten rechtsextremistischen Gewalttaten ohnehin nicht möglich. Dies wird in Gesprächen mit Beschäftigten der Behörden auch bestätigt. Doch selbst nach Einführung eines bundeseinheitlichen Erfassungskriteriums bleiben wegen der unterschiedlichen Zuordnung von nicht eindeutig abgrenzbaren Delikten und eines labilen Meldeverhaltens z.T. erhebliche Verzerrungen. So gilt auch für diese Statistiken das gleiche, was für Kriminalstatistiken allgemein gilt: Sie können bestenfalls einen Trend angeben, zur Abbildung der Wirklichkeit sind sie ungeeignet. Immerhin, der Trend ist erschreckend genug. Kea Tielemann ist Redaktionsmitglied von Bürgerrechte & Polizei/CILIP. [1] zum Vergleich lagen vor: Materialien des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein; Materialien des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesämter für Verfassungsschutz von Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Saarland. Nichtgenannte Behörden haben, trotz z.T. mehrfacher Nachfrage, keine Zahlen zur Verfügung gestellt. [2] vgl. Klink, Manfred: Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung fremdenfeindlicher Kriminalität. Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der Kommission Staatsschutz, in: Die Polizei 1992, H. 11, S. 274 [3] vgl. BT-Drucksache 12/3121 (Ablehnung eines Sondermeldedienstes des Bundeskriminalamtes für fremdenfeindliche Straftaten durch Mehrheitsvotum der Bundesländer) [4] zu APIS vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 41 (1/1992) [5] Zachert, Hans-Ludwig: Fremdenfeindlichkeit - eskaliert die Gewalt gegen Ausländer? in: Die Polizei 1992, H. 11, S. 268 [6] ebd., S. 270 [7] Landeskriminalamt Baden-Württemberg: Info-Mappe Fremdenfeindliche Straftaten in Baden-Württemberg [8] Mitteilung des LKA Hamburg an die Redaktion v. 27.1.1993 [9] Presseerklärung des bayerischen Staatsministerium des Innern v. 6.1.1993 [10] Schreiben des Ministerium des Innern an die Redaktion v. 20.1.1993 [11] Zahlen der LfV blieben unberücksichtigt, da lediglich fünf Ämter Material zur Verfügung gestellt haben. [12] Bundesamt für Verfassungsschutz: Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation, Stand: 15. Januar 1993 [13] ebd. [14] ebd. [15] Zachert a.a.O. (Fn. 5), S. 268-272 [16] vgl. die tageszeitung v. 10.2.1993 |
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Inhaltsverzeichnis | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1993-2002 HTML-Auszeichnung: Martina Kant Erstellt am 03.02.2001 - letzte Änderung am 16.09.2002 |