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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 65 (1/2000)

abstand

Inland aktuell



Zollkriminalamt weiter vierter Geheimdienst

Zum Jahresanfang trat die 10. Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) in Kraft. Damit verlängerte das Parlament zum dritten Mal die 1992 erstmals beschlossene und zunächst auf zwei Jahre befristete Befugnis des Zollkriminalamts (ZKA), als "vierter Geheimdienst" zu agieren. Seit sechseinhalb Jahren kann das ZKA präventiv Post und Telekommunikation überwachen, um schwere Ausfuhrdelikte und Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu verhindern. Wegen der seit 1992 anhängigen Normenkontrollklage des Landes Rheinland-Pfalz entschied sich die Bundesregierung erneut für eine Befristung bis 2003.

Die Begründung des Gesetzentwurfs[1] liefert den Zweifel an der vorgeblichen Effizienz der präventiven Überwachung gleich mit: 143 "Sachverhalte" habe das ZKA auf ihre "Eignung" geprüft, in 30 Fällen wurde nach Zustimmung des Finanzministeriums eine richterliche Anordnung erwirkt, eine Maßnahme war im Sommer letzten Jahres noch im Gange. In den 29 abgeschlossenen Fällen wurden insgesamt 55 direkt betroffene sowie 21 Drittpersonen und 52 Firmen überwacht. Dabei ging es um "Anhaltspunkte" (keine konkreten Verdachtslagen) für Embargobrüche und Lieferungen von atomaren und Rüstungsgütern in den Iran (acht Fälle), nach Libyen (6), Pakistan (4), Syrien (3), in den Irak (3), nach Jugoslawien (2), Nordkorea (1) sowie zwei weitere nicht näher spezifizierte Fälle der illegalen Waffenausfuhr und des Umgehungsexports.

Pro Fall waren durchschnittlich neun bis zehn Telekommunikationsanschlüsse sowie drei bis vier Postämter in die Kontrolle einbezogen. Die Anordnungen wurden meist über die ersten drei Monate hinaus verlängert (62 Erweiterungen und Verlängerungen, Durchschnittsdauer vier Monate). Eine Maßnahme ergab im Schnitt ca. 11.000 Dokumente.

In 15 Fällen hat man die gewonnenen Dokumente nach der Unterrichtung der Betroffenen ganz, in zweien teilweise vernichtet. Ebenfalls in 15 Fällen stellte das ZKA die Überwachung selber ein (darunter fünf bei denen sich die Annahmen definitiv nicht bestätigten, vier bei denen die Exporte wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten oder Geschäftsaufgabe nicht erfolgen konnten, drei weil "keine Durchführung des Geschäfts in naher Zukunft erkennbar war").

Zu einem Anfangsverdacht reichte es bei 14 Fällen, wovon vier wieder eingestellt wurden. Bleiben drei rechtskräftige Verurteilungen, ein Urteil, gegen das die Staatsanwaltschaft in Berufung ging, eine Anklageerhebung und fünf noch dauernde Ermittlungen. Angesichts der hohen Erwartungen, die 1992 mit dem Gesetz verbunden waren, und bei dem Aufwand der einzelnen Überwachungen ist das nicht gerade viel.


Lauschangriffe

Am 17.12.1999 legte die Bundesregierung den ersten Bericht über das Abhören von Wohnungen durch die Polizei vor.[2] Die knappe Bilanz gibt keine Auskunft über die Lauschangriffe, die die Länderpolizeien auf polizeirechtlicher Grundlage durchführten. Nach Angaben des Berichts wurden zwischen dem 9.5. und dem 31.12.1998 neun Wohnungen in acht Bundesländern abgehört. Im Durchschnitt dauerten die Abhörmaßnahmen 12 Tage (die kürzeste 1 Tag, die längste 42 Tage). Die Kosten lagen insgesamt bei 65.360 DM - wobei der 42-tägige Lauschangriff in Bayern nur 2430,- DM kostete, während für drei Tage in Sachsen genau 15.865,85 DM in Rechnung gestellt wurden. In fünf Fällen wurde in Ermittlungen wegen Mord, Totschlag oder Völkermord abgehört; bei drei Fällen handelte es sich um Drogendelikte. Von der "akustischen Wohnraumüberwachung" waren 16 Beschuldigte und 6 Nichtbeschuldigte betroffen. Allerdings beziehen sich diese Angaben nur auf die WohnungsinhaberInnen und/oder auf die Beschuldigten. Andere Personen, die in den Wohnungen abgehört wurden, weist der Bericht nicht aus. Zum Zeitpunkt der Erfassung waren die Abgehörten in sechs Fällen nachträglich über die Überwachung informiert worden; in den anderen Fällen unterblieb die Benachrichtigung, weil die Ermittlungen noch andauerten. Der Bericht enthält auch Angaben über die "Relevanz" der Lauschangriffe für das Verfahren, wobei dies in noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren "anhand kriminalistischer Erfahrungswerte" prognostiziert werden soll. Nach diesem Kriterium waren nur zwei Überwachungen von Wohnungen für das Verfahren von Bedeutung. D.h. in sieben von neun Fällen war der Lauschangriff überflüssig.


Polizeiliche V-Personen in Thüringen

Ein klein wenig Licht in die Geheimniskrämerei um polizeiliche Vertrauenspersonen (VP) hat eine kleine Anfrage des Thüringer PDS-Landtagsabgeordneten Steffen Dittes gebracht. Während die Fragen nach den V-Personen des Verfassungsschutzes mit dem Verweis auf "Staatsgeheimnisse" unbeantwortet blieben,[3] gab das Innenministerium immerhin einige Angaben über die VP-Arbeit der Polizei preis.[4] So fanden auf der Grundlage des Polizeigesetzes 1999 12 Einsätze von VPs in Thüringen statt (1996: 6, 1997: 8, 1998: 11). Für deren Bezahlung gaben die Thüringer Polizeibehörden im letzten Jahr 1.770,- DM aus (1996: 3.100, 1997: 7.100, 1998: 3.500). Dies ergibt für 1999 einen Durchschnittslohn von knapp 148 DM pro VP-Einsatz (der höchste Durchschnittswert beträgt 887,50 DM für 1997).

Einige VPs haben vor ihrer Arbeit für die Polizei Straftaten in den Bereichen "Menschenhandel, Falschgelddelikte, Betäubungsmittelkriminalität, Erpressung, Hehlerei, Förderung der Prostitution o.ä." begangen. Ihr Einsatz dürfte auch in diesen Feldern erfolgt sein. In Einzelfällen wurden VPs anderer Bundesländer in Thüringen eingesetzt.

In Thüringen kann jeder Polizist VPs anwerben. Die VPs werden zentral beim Landeskriminalamt überprüft und registriert, ihr Einsatz wird dort koordiniert. Die VP-Führung obliegt den derzeit 16 besonders geschulten VP-Führern bzw. -Führerinnen. Im Zusammenhang mit VP-Einsätzen sind bislang keine Ermittlungs- oder Strafverfahren eingeleitet worden. Es besteht in Thüringen keine Pflicht, die Staatsanwaltschaft über den präventivpolizeilichen Einsatz von VPs zu informieren. Der Einsatz wird in den Akten der Polizei dokumentiert.

Die knappen Antworten des Innenministeriums legen neue Fragen nahe: In welchem Umfang gibt es VP-Einsätze zu Zwecken der Strafverfolgung? (Diese sind ausdrücklich nicht in den Angaben enthalten.) Worin liegt - angesichts der spärlichen Bezahlung - die Motivation der VPs zur Zusammenarbeit mit der Polizei? (Etwa im Verzicht auf Ermittlungen gegen diese VPs?) Welche Bedeutung kommt den VPs für eventuelle Strafprozesse zu, wenn die Staatsanwaltschaft offenkundig nur nach polizeilichem Gutdünken informiert wird?


Videoüberwachung

Seit Anfang des Jahres wird in deutschen Landen eine heftige Debatte über den Einsatz von Videokameras zur Überwachung öffentlicher Straßen und Plätze geführt, mit denen - so die BefürworterInnen - StraftäterInnen abgeschreckt und das Sicherheitsgefühl der wohlanständigen BürgerInnen gestärkt werden sollen. Die Kontroverse rückt immerhin die schon bisher installierten Überwachungskameras ins öffentliche Bewusstsein. Ansonsten folgt sie dem seit Jahrzehnten bekannten Muster der Politik "Innerer Sicherheit": Lanciert wurde die Forderung zunächst in Bayern und dann auf Bundesebene durch die vom Spendenskandal angeschlagene CDU, deren rechtspolitischer Sprecher Jürgen Rüttgers zugleich einen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen führt. Der Vorschlag wurde nicht nur von den Länder-Innenministern der CDU aufgegriffen, sondern erfuhr postwendend eine "differenzierte" Antwort auch von sozialdemokratischen WürdenträgerInnen. Schließlich sind auch in SPD-regierten Städten (z.B. Leipzig) und Bundesländern Überwachungskameras im Einsatz. Die Datenschutzbeauftragten konnten auf ihrer Frühjahrskonferenz am 14./15. März nur mehr Rückzugsgefechte führen, d.h. einschränkende "gesetzliche Leitplanken" fordern. Eine neue Novellierungsrunde der Polizeigesetze ist damit vorprogrammiert.

Über die Videoüberwachung im Vorreiterstaat Großbritannien (die Praxis, die Betroffenen und das uneingelöste Versprechen der Kriminalitätsreduktion) informierte Bürgerrechte & Polizei/CILIP in Heft 61.[5]



[1] BT-Drs. 14/1415 v. 20.7.1999
[2] BT-Drs. 14/2452
[3] LT Thüringen, Drs. 2/203 v. 16.12.1999
[4] LT Thüringen, Drs. 3/265 v. 20.1.2000
[5] Norris, C.; Armstrong, G.: Smile you're on camera, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98), S. 30-40

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Erstellt am 02.05.2000 - letzte Änderung am 26.09.2002