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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 68 (1/2001)

abstand

Literatur


Zum Schwerpunkt

"Rechtsextremismus und Polizei" ist eines der politischen und polizeipolitischen Dauerthemen seit Anfang der 1990er Jahre. Wie sollte es auch anders sein, wenn Häuser angezündet werden, in denen AusländerInnen leben, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe verfolgt, verprügelt, zu Tode getreten werden. Leben und (körperliche) Unversehrtheit zu schützen, bildet den Kern des staatlichen Sicherheitsversprechens; eine Polizei, die derartige Straftaten nicht zu (neuen) Reaktionen veranlasste, verlöre jede bürgerrechtliche Legitimation. Die Debatten und die polizeilichen Selbstvergewisserungen kreisen denn auch nicht um die Frage des "Ob", sondern des "Wie". Dabei zeigen sich die von anderen Themen bekannten Probleme: Worin kann und soll die Rolle der Polizei bestehen? Gibt es noch Grenzen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr? Welches Verhältnis besteht zwischen Polizei und Politik? Wie muss eine Polizei aussehen, die die an sie gestellten Erwartungen erfüllen kann?

Im Folgenden kann nur eine kleine Auswahl aus der polizeilichen und polizeibezogenen Debatte vorgestellt werden. Wie schon in den Beiträgen zum Schwerpunkt, so müssen wir auch hier den Anteil der Verfassungsschutzämter vernachlässigen. Auch wenn es an entsprechenden Veröffentlichungen mangelt, so steht doch fest, dass der "Kampf gegen rechts" nicht nur den Ämtern ein neues Exerzierfeld bietet, sondern dass auch die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz zum Gebot der Stunde erklärt wird.

Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hg.): Maßnahmen der Länder gegen Rechtsextremismus, Speyer 2001

Auf 100 Seiten haben zwei Mitarbeiterinnen der Verwaltungshochschule die Länderprogramme gegen Rechtsextremismus zusammengefasst. Die Vorhaben und Aktivitäten werden unkommentiert wiedergegeben; die Beschlüsse der Landesregierungen werden zum Teil im Wortlaut dokumentiert. Die Zusammenstellung liefert einen guten und aktuellen Überblick über den staatlichen "Kampf gegen rechts". Auch wird der Kontext polizeilicher (und verfassungsschützerischer) Maßnahmen sowie deren Stellenwert in den Ländern deutlich.

Rechtsextremismus, Rassismus und polizeiliche Reaktion, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/1993), S. 6-78 (Schwerpunktthema)

Mit diesem Heft haben wir auf die erste Welle fremdenfeindlicher Gewalt im Deutschland nach der Vereinigung reagiert. In den Beiträgen des Heftes wird das polizeiliche Versagen in Rostock-Lichtenhagen ausführlich dokumentiert, die Bedeutung rechtsextremistischer Einstellung innerhalb der Polizeien wird thematisiert, und die ersten institutionellen Reaktionen der Polizei auf die neue Gewalt von rechts werden vorgestellt.

Neidhardt, Klaus: Politisch motivierte Straftaten. Polizeiliche Bekämpfungsansätze gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, in: Kriminalistik 55. Jg., 2001, H. 2, S. 93-99

Der Beitrag des BKA-Abteilungspräsidenten für Staatsschutz gibt einen Überblick über die polizeilichen Konzepte und Maßnahmen gegen rechts. Sein Ausgangspunkt bildet die Einsicht, dass rechtsextremistische und fremdenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung weit verbreitet sind, deren Entstehung und Virulenz vom allgemeinen gesellschaftlichen Klima und der tagespolitischen Diskussion bestimmter Themen abhängen. Wegen dieser mehrfachen Einbindung rechtsextremistisch motivierter Straftaten, so die überzeugende Argumentation, sei die Polizei nicht in der Lage, Rechtsextremismus als gesellschaftliches Phänomen aus der Welt zu schaffen. Trotz dieser Selbstbeschränkung im Anspruch werden schnell Tendenzen einer sich zusehends entgrenzenden Institution sichtbar. Denn die fremdenfeindlich oder antisemitisch motivierten Straftaten gegen Leib und Leben bleiben lediglich ein Bezugspunkt, dem Repression und Prävention im weiten Vorfeld zu gelten haben. Es gehe der Polizei neben der Aufklärung von Straftaten zugleich auch immer um deren Verhinderung in der Zukunft. Im Rahmen einer solchen Prävention mittels Repression(sdrohung) wird dann das ganze Repertoire moderner Polizeimethoden aufgelistet: von der Razzia bis zur Beschlagnahme, der Infiltration durch V-Personen oder verdeckte Ermittler, der Verhängung von Platzverweisen und Aufenthaltsverboten über präventive Hausbesuche, gezielte offene und verdeckte Präsenz bis zu Initiativermittlungen und Auswertungsprojekten.

Klink, Manfred: Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung fremdenfeindlicher Kriminalität, in: Die Polizei 83. Jg., 1992, H. 11, S. 272-276

1991 erarbeitete eine Arbeitsgruppe der "Kommission Staatsschutz" (einer Untergliederung der AG Kripo der Innenministerkonferenz) einen "Maßnahmenkatalog", der bis heute die Grundlinien der polizeilichen Antworten auf rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Kriminalität zutreffend beschreibt. Mit Variationen wird dieses Maßnahmenbündel in den Bundesländern seither praktiziert. Neben der Sicherheit von Unterkünften der AsylbewerberInnen sowie der Öffentlichkeitsarbeit und Öffentlichkeitsfahndung sieht der Katalog spezifische Maßnahmen an Brennpunkten (Razzien, verdeckte Aufklärung, beweiskräftige Festnahmen), die Bildung von Sonderkommissionen oder Ermittlungsgruppen sowie die Vorfeldaufklärung durch die Methoden der Infiltration vor.

Raisch, Peter: Bekämpfung des Rechtsextremismus im Freistaat Sachsen. Aspekte der Vorbeugung und Strafverfolgung, in: Die Polizei 83. Jg., 1992, H. 11, S. 276-281

Pählich, Peter: Die Soko REX. Die Sonderkommission Rechtsextremismus blickt ihrem 10. Geburtstag entgegen!, in: Der Kriminalist 32. Jg., 2000, H. 12, S. 505-510

Die beiden Artikel beleuchten die Arbeit der Soko REX, die die erste institutionelle Reaktion der Polizeien auf die rechtsextreme Gewalt Anfang der 90er darstellte. Neben den Erfolgsbilanzen - gemessen an Beschlagnahmen, Hausdurchsuchungen, Haftbefehle - liefern die Beiträge einen Einblick in die verschiedenen Formen polizeilicher Repressionsarbeit im Freistaat Sachsen.

Walz, Norbert: Rechtsextremismus/Fremdenfeindlichkeit. Lagebild und Bekämpfungsstrategien, in: Die Kriminalpolizei 12. Jg., 1994, H. 4, S. 193-205

Der Bericht über Lage und Bekämpfung in Baden-Württemberg ist ein deutliches Beispiel dafür, wie die länderspezifischen Traditionen und Erfahrungen das jeweilige Maßnahmenbündel bestimmen. Denn glaubt man der Selbstdarstellung, dann ist die verdeckte Informationsgewinnung in Baden-Württemberg zentral: verdeckte Fahndung, präventivpolizeiliche Observation, verdeckte Heranführung von Einsatzkräften, verdeckte Ermittler und Polizeiliche Beobachtung werden als besonders erfolgversprechend vorgestellt.

Hewer-Brösch, Gerlinde: Bekämpfung fremdenfeindlicher Straftaten/des Rechtsextremismus. Ermittlungsgruppen gegen fremdenfeindliche Straftaten/ Rechtsextremismus, in: Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1994, H. 3, S. 77-84

Hewer-Brösch beschreibt das nordrhein-westfälische Polizeikonzept gegen rechts. Im Oktober 1992 wurden in den 16 Kriminalhauptstellen des Landes "Ermittlungsgruppen Fremdenfeindliche Straftaten" eingerichtet, die "eine einheitliche und schwerpunktmäßige Bekämpfung" einschlägiger Straftaten sicherstellen sollten. Präventive wie repressive Maßnahme sind darauf ausgerichtet, (auch) "umfassende Personen- und Gruppenkenntnisse" zu gewinnen bzw. "rechtsextremistische Verflechtungen" aufzudecken.

Zum staatlich-repressiven Kampf gegen rechts gehört auch die Justiz. Viele der polizeilichen Strategien liefen ins Leere, wenn die Justiz nicht "mitzieht", wenn hinter der konsequenten Verfolgung nicht auch eine konsequente Strafjustiz steht. Vielfach lautet der Vorwurf, nicht nur die Polizei, auch die Justiz sei auf dem rechten Auge blind, übe nach rechts Nachsicht, wo sie nach links mit übertriebener Härte reagiere.

Gössner, Rolf: Zwischen Verharmlosung und Übertreibung. Polizei und Justiz im "Kampf gegen rechts", in: Ders.: Mythos Sicherheit. Der hilflose Schrei nach dem starken Staat, Baden-Baden 1995, S. 97-134

Nach einem Überblick über das eklatante Versagen der Polizei in Rostock, Madgeburg und Fulda und der Kritik an den häufig als zu milde empfunden Urteilen der Gerichte gegen die (jugendlichen) Brandstifter schließt Gössner sich nicht dem Ruf nach einem starken Staat, nach schärferen Gesetzen und drastischeren Strafen an. Gegen diesen naheliegenden und populistisch ausschlachtbaren Weg spricht nach Gössner nicht nur die Erfahrung, dass mehr Repression sich dauerhaft auch gegen links richten wird, sondern dass Gefängnisstrafen rechtsextreme Sozialisationen eher befördern als durchbrechen.

Kalinowsky, Harry H.: Rechtsextremismus und Strafrechtspflege. Eine Analyse von Strafverfahren wegen mutmaßlicher rechtsextremistischer Aktivitäten und Erscheinungen, Bonn 1999 (3. erweiterte Auflage)

Neubacher, Frank: Fremdenfeindliche Brandanschläge. Eine kriminologische Untersuchung von Tätern, Tathintergründen und gerichtlicher Verarbeitung in Jugendstrafverfahren (Umwelt, Kriminalität, Recht, Bd. 4), Mönchengladbach 1998 (Forum Verlag Godesberg), 445 S., DM 68,-

Beide Untersuchungen können als empirische Antwort auf die Frage gelesen werden, ob die Justiz gegenüber rechten Straftätern zu nachsichtig sei. Beide verneinen diese Frage. Die vom Bundesjustizministerium herausgegebene Untersuchung Kalinowskys besteht in der Analyse der Akten von 1.382 Strafverfahren wegen mutmaßlicher rechtsextremistischer Aktivitäten und Erscheinungen in den Jahren von 1978 bis 1987. Rund ein Drittel der Straftaten richteten sich gegen den Staat; ca. 18% gegen Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit. Aus der Analyse der Sanktionen folgert der Autor, dass "die Justiz im großen und ganzen der Herausforderung durch den kriminellen Rechtsextremismus angemessen entgegentritt". Lediglich die Milde gegenüber "dem militanten Spektrum" widerspreche dieser Bilanz.

Während Kalinowsky die Verhältnisse in der alten Bundesrepublik untersuchte, hat die Arbeit von Neubacher die fremdenfeindlichen Brandanschläge in der ersten Hälfte der 90er Jahre zum Gegenstand. Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf jene Verfahren, die vor Jugendgerichten geführt wurden. Die Analyse von 104 Urteilen wurde durch eine schriftliche Befragung von sächsischen und nordrhein-westfälischen Jugendrichtern ergänzt. Im Hinblick auf die aktuelle "Bekämpfungsdebatte" ist bemerkenswert, dass nur 6,1% der Täter einer rechtsextremen Partei oder Organisation angehörten und die Mehrheit "aus relativ unauffälligen und normalen Lebensverhältnissen" stammte. Der Autor bescheinigt den Jugendgerichten, eine angemessene Balance zwischen den Vorgaben des Jugendgerichtsgesetzes und der notwendigen staatlichen Reaktion auf schwere Straftaten gefunden zu haben. Kritisch bemerkt er allerdings, dass in rund einem Viertel der Verfahren der politische Kontext der Taten vollständig ignoriert worden war. Die Rolle der Polizei wird in Neubachers Arbeit nur am Rande erwähnt; weitere Forschungen seien nötig, um die polizeilichen Ermittlungen bewerten zu können. Mehr Forschung scheint auch angezeigt, um die Gültigkeit von Neubachers Befunden über seinen relativ engen Gegenstand hinaus zu prüfen. Dass die Justiz gegenüber links nach wie vor mit größerer Intensität als nach rechts ermittelt, kann nur übersehen, wer - wie der Autor - die Bedeutung des Ermittlungs- und Ausforschungsparagraphen 129a des Strafgesetzbuches verkennt.

Müller-Münch, Ingrid: Biedermänner und Brandstifter. Fremdenfeindlichkeit vor Gericht, Bonn 1998 (Verlag J.H.W. Dietz Nachf.), 251 S., DM 24,80

Die journalistischen Reportagen von Müller-Münch bieten eine lesenswerte Ergänzung zu den kriminologisch angelegten Untersuchungen. In ihren acht Fallstudien, die von Hünxe bis Lübeck reichen, wird vieles deutlich, was in der wissenschaftlichen Beschäftigung auf der Strecke bleibt: Die erheblichen polizeilichen Ermittlungsfehler und "-pannen"; das soziale und politische Umfeld, aus dem die Täter stammen; die Unfähigkeit der Justiz, auf dieses Geflecht von sozialen Bedingungen und individueller Handlung halbwegs angemessen und mit politischer Sensibilität zu reagieren; der öffentliche Druck auf die Beteiligten und die Vorverurteilungen von verschiedenen Seiten. Lesenswert ist auch der "Ausblick" am Ende des Taschenbuches, der die Forderungen nach harten Strafen mit der Wirklichkeit im Strafvollzug und deren verheerenden Folgen konfrontiert.

Lynen von Berg, Heinz: Politische Mitte und Rechtsextremismus. Diskurse zu fremdenfeindlicher Gewalt im 12. Deutschen Bundestag (1990-1994), Opladen 2000 (Leske + Budrich), 328 S., DM 64,-

Die politikwissenschaftliche Dissertation untersucht die Argumentationen der CDU/CSU als damalige Regierungsparteien und der oppositionellen SPD. Täter- und Opferbeschreibungen, die Bedeutung des "Ansehens im Ausland" sowie die Bezugnahme auf die NS-Vergangenheit bilden die zentralen Elemente der Analyse. Lynen von Bergs Fazit ist ernüchternd. Die parlamentarischen Akteure beider Couleur zeigten sich nicht in der Lage, den Rechtsextremismus angemessen zu thematisieren. Die Bundestagsdebatten seien bestimmt von Strategien, die "auf Öffentlichwirksamkeit und politische Vereinnahmung des Wählers" zielen und in denen einfache Schuldzuschreibungen und Schwarz/weiß-Szenarien vorherrschten. Damit, so das Ergebnis des Autors, habe das Parlament nicht dazu beigetragen, "eine auf politische Partizipation der Bürger und Bürgerinnen hin orientierte Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu schaffen."


Neuerscheinungen

Beste, Hubert: Morphologie der Macht. Urbane "Sicherheit" und die Profitorientierung sozialer Kontrolle (Studien zur Inneren Sicherheit, Bd. 3), Opladen 2000 (Leske + Budrich), 528 S., DM 88,-

Was "urbane Sicherheit" bedeutet, wer mit welchen Methoden an ihrer Herstellung beteiligt ist, welche Formen der Kontrolle mit welchen sozialen und politischen Konsequenzen etabliert werden - das sind die Fragen, denen Hubert Beste in seiner umfänglichen Untersuchung am Beispiel von Frankfurt am Main nachgeht. In vierzehn Kapiteln werden verschiedene Kontexte und Ausprägungen von Sicherheitsdiskursen und -praktiken dargestellt und analysiert. Dabei zeichnet sich Bestes Arbeit dadurch aus, dass er sich nicht auf die unmittelbaren lokalen Arrangements von Sicherheit und Kriminalität beschränkt, sondern ökonomische, sozialstrukturelle, stadträumliche und (lokal)politische Entwicklungen einbezieht. Im ersten Kapitel werden die theoretischen Orientierungspunkte gelegt, die zu drei Thesen über die "Reformulierung und Reorganisation des staatlichen Sicherheits- und Kontrollgefüges" zusammengefasst werden (S. 70). Die Stichworte (Entmoralisierung, Privatisierung, Klassifizierung) zeigen an, dass Beste sich auf der Höhe des zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurses über Sicherheitskonzepte bewegt. Dies gilt analog für die in den nächsten Kapiteln folgende 100-seitige Frankfurter Stadtgeschichte, die vor dem Hintergrund ökonomischer Imperative (Finanzstandort, Globalisierung) beschrieben wird. In den Kapiteln 10, 11 und 12 werden Segmente lokaler Sicherheitspolitiken detaillierter untersucht: Drogen, Prostitution sowie die Entwicklung privater Sicherheitsanbieter. Vor der Zusammenfassung der "Aspekte des Formwandels sozialer Kontrolle" werden "Feindbildkonstruktionen und Bedrohungsszenarien" am Beispiel der Kurden nachgezeichnet.

Die Fallstudien Bestes über die Frankfurter Rauschgift- und Prostitutionspolitik hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck. Nicht Sicherheits- oder Kriminalitätsaspekte sind für deren lokalpolitische Thematisierung ausschlaggebend, sondern der Konflikt mit den Zielen der Stadtvermarktung im Sinne von Standortkonkurrenzen um Unternehmensansiedlungen und Touristen. Am Beispiel der offenen Drogenszene identifiziert Beste drei Phasen, die zum "Frankfurter Modell" der Drogenkontrolle führten. Dabei werden die besonderen institutionellen Arrangements ("Montagsrunde") deutlich, die unterhalb der ideologischen Grabenkämpfe pragmatische Antworten ermöglichten. Als Mischung aus Farce und billigem Milieukrimi entlarvt Beste die Frankfurter Prostitutionspolitik. Das Hin und Her der Sperrgebietsverordnungen ist Ausdruck dauerhafter Konzept- und Hilflosigkeit, die ihren Höhepunkt in den Geschäften der Ära Wallmann fand. In beiden Kapiteln wird deutlich, dass es bei urbaner Sicherheitspolitik primär nicht um Unsicherheit oder Kriminalität, um Opfer oder Täter geht, sondern um die Durchsetzung bestimmter Vorstellungen von städtischen Räumen als Instrumente der Selbstinszenierung.

Im 12. Kapitel untersucht Beste das Kontrollarrangement im öffentlichen Stadtraum. Unter Rückgriff aus Daten aus einer Erhebung Anfang der 90er Jahre werden die Strukturen des privaten Sicherheitsgewerbes in der Bundesrepublik dargestellt. Die Verbindung privatwirtschaftlicher mit städtischen und staatlich-polizeilichen Sicherheitsexperten wird dann am Frankfurter Beispiel detailliert entfaltet. Das Spektrum reicht von den Geschäftsleuten ("Zeil aktiv") über den städtischen Präventionsrat, vom Kooperationsvertrag zwischen Privaten und Polizei über die Streifen des Ordnungsamtes und die Debatten über die Gefahrenabwehrverordnung bis zum 3-S-Konzept der Bahn. Urbane Sicherheit erscheint als das Produkt unterschiedlicher Akteure mit unterschiedlichen Interessen - deren gemeinsame Nenner allenfalls in der Ausgrenzung bestimmter Gruppen zu liegen scheint.

Während die genannten Kapitel eine interessante und teils spannende Lektüre versprechen, weist das Buch insgesamt einige Schönheitsfehler auf. So fällt die Diskrepanz zwischen den Frankfurter Fallstudien und der Erhebung zu den privaten Sicherheitsdiensten ins Auge. Auch der Umstand, dass man sich über 180 Seiten durch den sicherheitstheoretischen und stadtpolitischen Kontext lesen muss, ehe die Studie zu ihrem ureigensten Gegenstand gelangt, scheint nicht von der Sache geboten. Zudem räumt der Autor selbst ein, dass das Konzept der global orientierten Metropole etwa für die Frankfurter Rauschgiftpolitik "keine direkten handlungsleitenden Funktionen" auslöste (S. 244). Ähnliches dürfte wohl für die Prostitutions-Regulierung zutreffen. Auch das Kapitel über die Kriminalisierung der Kurden wirkt als eher beliebiges Beiwerk in der Komposition des Bandes.

Trotz dieser Einwände ist Bestes "Morphologie der Macht" eine lohnende Lektüre. Wer über die Entwicklungen urbaner Sicherheit in Deutschland reden will, muss sich mit diesem Buch auseinandersetzen.

Pinçon, Thomas; Leder, Mike; Williams, Sven Gordon: Bodyguard. Herausforderung Personenschutz, München 2000 (Verlag C.H. Beck), 171 S., DM 39,-

Besitzen Sie "Diskretion, Entschlußkraft und Zuverlässigkeit" (S. 169), zeichnen Sie sich durch "ein gepflegtes Erscheinungsbild und gute Manieren" aus (S. 23) und verfügen Sie über "exzeptionelle physische und charakterliche Qualitätsmerkmale" (Geleitwort), dann wäre "Bodyguard" der richtige Beruf für Sie. Gute Berufsaussichten hätten Sie, wenn sie in "Eliteeinheiten oder Polizei sowie Militär" bereits Erfahrungen gesammelt hätten. Denn dieser Personenkreis - glaubt man der vorliegenden Einführungsschrift für angehende Personenschützer - ist am besten für diesen Beruf geeignet, da "Disziplin sowie Ordnung und Befehlsakzeptanz" "unverzichtbare Eigenschaften" seien, die Militär- und Polizeiangehörigen bereits in ihrer Ausbildung vermittelt worden seien (S. 24). Die Übersicht über das Berufsbild des Personenschützers wurde von zwei leitenden Mitarbeitern einer privaten Personenschutz-Firma verfasst. (Der dritte Autor zeichnet für die den Text auflockernden Fotos und Grafiken verantwortlich.) Den beiden Autoren ist ihre militärische Vergangenheit gemeinsam: Der eine diente bei einer französischen Spezialeinheit, der andere "absolvierte eine militärisch-polizeiliche Ausbildung an der Offiziershochschule" der DDR.

In sechzehn Kapiteln werden die Tätigkeitsbereiche und die Rahmenbedingungen des Personenschutzes vorgestellt. Das Spektrum reicht von der Rechtskunde über die Ausrüstung bis zum Umgang mit der Schutzperson, vom Begleit- und Objektschutz bis zu Maßnahmen der Ersten Hilfe oder des Einsatzes angesichts terroristischer oder krimineller Bedrohungen. Wie vielfältig die beruflichen Anforderungen sein können, wird an vielen praktischen Beispielen deutlich: Schutz bei Cocktailparties, Personenschutz auf der Yacht oder rund um den Privatjet. Das sind doch ernsthafte Alternativen zum eintönigen Polizei- oder Militärdienst! Der Personenschutz bietet offenkundig ein ideales Endlager für frustrierte und gelangweilte uniformierte Staatsdiener.

Müßig zu erwähnen, dass die Autoren den Personenschutz als eine politisch neutrale Dienstleistung anbieten. Der professionelle Bodyguard schützt heute einen Putschisten, morgen den Papst, übermorgen einen Waffenhändler und bald die jüngste Boygroup. Männern (und Frauen) mit Charakter (s.o.) macht das nichts aus. Was scheren uns die Auftraggeber, solange das Gewerbe floriert.

Jakob, Bernd: Geheime Nachrichtendienste und Globalisierung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern u.a. 1999 (Peter Lang Verlag), 300 S., DM 89,-

Über Jahrzehnte wurden geheime Nachrichtendienste weltweit mit der bipolaren Weltordnung gerechtfertigt: Die kalten Krieger beider Lager sahen sich bedroht, von der kommunistischen Weltrevolution die einen, vom Imperialismus die anderen. Die Zeiten sind vorbei, und die Strategen der Dienste suchen nach neuen Legitimationen. Der vorliegende Band von Bernd Jakob erweist sich in diesem Sinne als auf der Höhe der Zeit. Angereichert mit der sozialwissenschaftlichen Globalisierungsdebatte und schöpfend aus den Strategieplänen vor allem US-amerikanischer Prägung will er "Hinweise für die Reorganisation von nachrichtendienstlichen Programmstrukturen bereitstellen" (S. 32).

Auf dem Weg zu diesen Hinweisen führt der Autor durch die geistigen "Höhen" der Geheimdienstwelt. Wer etwa wissen möchte, dass TECHINT der Sammelbegriff für u.a. SIGINT, IMINT und MASINT ist (S. 63f.) und dass IMINT in der Informationsgesellschaft wichtiger sein wird, als es in der Industriegesellschaft war, während SIGINT gleichzeitig an Bedeutung verlieren wird (S. 252), der oder die kann aus diesem Buch viel lernen. Ansonsten werden die Antworten präsentiert, die die Geheimdienste zu probaten Akteuren im Kampf gegen alle möglichen "Risiken" erklären: weltweite "Krisenfrüherkennung", militärische Risiken incl. "UN-Peacekeeping", ökonomische "Ressourcensicherung und Wettbewerbsfähigkeit", Risiken "der Organisierten Kriminalität" und der Migration oder - unter ökologischen Gesichtspunkten - die "Umwelt als nachrichtendienstlicher Aufklärungsgegenstand". Glaubt man diesem Buch, dann hängt die Zukunft der Welt von den Diensten und deren weitgestreuten "Intelligence"-Aktivitäten ab.

Nach eigenem Bekunden schreibt der Autor aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive. Die Leistungen der Geheimdienste gehören für ihn zum Bereich der internationalen Politik. Vielleicht war es diese Ausrichtung, die es so leicht gemacht hat, dass "Demokratie" oder "Bürgerrechte" in diesem Buch überhaupt keine Rolle spielen, denn beide haben in einer Welt, in der es um den Bestand von Staaten geht, keinen Platz. Jacobs Darstellung ist deshalb alles andere als modern. Wer sich an Staaten statt an Menschenrechten und demokratischen Verfassungen orientiert, ist nur scheinbar auf der Höhe der Zeit.

(sämtlich: Norbert Pütter)



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HTML-Auszeichnung: Felix Bübl, Martina Kant
Erstellt am 6. Mai 2001 - letzte Änderung am 19.09.2002