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Offener Brief

Berlin, 12.12.2001

An die
Abgeordneten
des Deutschen Bundestages

Zur Abstimmung über das "Terrorismusbekämpfungsgesetz" am Freitag, den 14.12.2001

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter,

am kommenden Freitag wollen Sie über einen aufgrund von Vorschlägen aus dem Bundesrat nochmals überarbeiteten Gesetzesentwurf entscheiden, der

  • Ihnen im Wortlaut erst im Laufe dieser Woche oder gar erst am Abstimmungstag bekannt gegeben wird, dessen Inhalt Sie faktisch gar nicht kennen, geschweige denn in seinen rechtlichen, tatsächlichen, politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen überschauen und prüfen können,
  • über den eine ausführliche öffentliche Debatte aufgrund des unnötigerweise von Seiten des Bundesinnenministeriums und der Bundesregierung erzeugten Zeitdrucks nicht möglich war,
  • über dessen Auswirkungen die Bevölkerung in keiner Weise informiert ist

und

  • der weiterhin auf grundlegende Kritik von Flüchtlings-, Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, Verfassungsrechtlern aber auch Parteien (FDP, PDS) trifft.

Den Bundestagsvizepräsidenten a.D., Burkhard Hirsch, veranlasste der Gesetzentwurf zu fragen "ob wir ein demokratischer Rechtsstaat bleiben". Diese Frage scheint ob der vorgesehenen Gesetzesänderung wahrlich nicht übertrieben:

  • Die Vorschläge für das Ausländer- und Asylrecht führen zu einer Ausweitung der Ausgrenzung und informationellen Sonderbehandlung von Ausländern und deren Überwachung. Für die 7 Millionen hier lebenden Ausländer soll der Bundesinnenminister durch Rechtsverordnung vorab festlegen dürfen, welche biometrischen Daten in deren Pässe und Visa eingetragen werden. Ausländer erhalten kein Recht auf Auskunft über den Inhalt der ggf. verschlüsselt eingetragen Daten. Die Daten aus Ausländerausweisen dürfen pauschal von öffentlichen Stellen erfasst und weiterverarbeitet werden. Das gesamte Ausweisungsrecht wird durch den vorgesehenen Sofortvollzug massiv verschärft. Durch äußerst fragwürdige Verdachtstatbestände werden die Einreise - einschl. des Familiennachzugs zu Deutschen - erschwert, die Ausweisung erleichtert, das Asylrecht verschärft und das Vereinsrecht beschränkt. Um dieses zu erreichen, müssen Ausländer umfassend durch Geheimdienste überwacht werden - ein deutliches Zeichen auf dem Weg in den Polizei- und Überwachungsstaat. Diese Regelungen werden dazu beitragen, dass sich das gesellschaftliche Klima gegenüber Nichtdeutschen massiv verschärft.
  • Die Novellierung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes führt dazu, dass ein unbestimmter, wesentlich größerer Personenkreis als bisher in das Visier des Verfassungsschutzes gelangen wird. Zu befürchten ist die Vernichtung zahlreicher beruflicher Existenzen durch für die Betroffenen faktisch nicht angreifbare arbeitsrechtliche Kündigungen. Zudem wirkt die Maßnahme als Einstellungs- und Beschäftigungshindernis.
  • Die neuen Kompetenzen für die Bundespolizeien und die Geheimdienste des Bundes verwischen die grundgesetzlich festgeschriebene und historisch wohlbegründete Trennung von Nachrichtendiensten und Polizeien. Das Bank-, Post- und Fernmeldegeheimnis werden zur Makulatur!
  • Die neuen Kompetenzen für Polizei und Geheimdienste haben weitreichende Auswirkungen auf das Strafrecht sowie das Strafprozessrecht. Ein "faires" Verfahren, mit "Waffengleichheit" zwischen Angeklagten und Staatsanwaltschaft ist nicht mehr gegeben, wenn - wie vorgesehen - verstärkt geheim gesammelte Informationen in Strafverfahren als Beweise angenommen werden. Dies widerspricht der bundesrepublikanischen Rechtskultur zutiefst!

Grundsätzlich ist der Gesetzentwurf - über den Sie, sehr geehrte Frau Abgeordnete und sehr geehrter Herr Abgeordneter, am Freitag abstimmen sollen - nicht nach dem Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen: Weder sind die meisten Maßnahmen zur Terrorismuskämpfung geeignet, noch sind sie erforderlich und erst recht nicht sind sie verhältnismäßig in Bezug auf die einschränkenden Auswirkungen auf die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger! Den Nachweis der Verhältnismäßigkeit bleibt das Innenministerium auch weiterhin schuldig. Nicht dargelegt wird, warum die bisherigen Kompetenzen von Geheimdiensten, BGS, BKA und Länderpolizeien - die in den letzten Jahren schon massiv erweitert wurden - nicht ausreichen sollten. Vielmehr ist festzustellen, dass eine Reihe der beabsichtigten Gesetzesänderungen seit Jahren in den Schubladen der Sicherheitsbehörden lagen - und nunmehr unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und der Instrumentalisierung der Ängste der Bevölkerung schnellstmöglich, ohne ausführliche, abwägende und das Grundgesetz achtende Diskussion verabschiedet werden sollen.

In hochtechnisierten, demokratischen und offenen Gesellschaften kann es keine absolute Sicherheit geben, ohne das die in ihr lebenden Bürger als potentielle Verbrecher behandelt werden und polizeistaatlicher Willkür Tür und Tor geöffnet werden.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter, lassen Sie nicht die grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien der Bundesrepublik hinter sich und gehen mit der Zustimmung zu diesem Gesetz einen Schritt in Richtung Überwachungsstaat! Spielen Sie nicht einer mutmaßlichen Absicht der Terroristen in die Hände, die Grundlagen offen, frei, säkular und demokratisch organisierter Gesellschaften zu zerstören! Ein "Terrorismusbekämpfungsgesetz", dass vor allem ausländerfeindliche Ressentiments schürt, ausländische Gäste und Hierlebende massiven Restriktionen unterzieht und massiv in die Bürgerrechte eingreift ist ein Schritt in die falsche Richtung!

Dieses "Terrorismusbekämpfungsgesetz" bekämpft nicht den Terrorismus, sondern stört das friedliche Zusammenleben in der Bundesrepublik, fördert angepasstes, unkritisches Verhalten und ist in weiten Teilen nicht mit dem Geist des Grundgesetzes vereinbar!

Die unterzeichnenden Organisationen fordern Sie auf, dem "Terrorismusbekämpfungsgesetz" nicht zuzustimmen!

Sorgen Sie mit Ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzesentwurf nicht dafür, dass die Möglichkeiten für eine totale Überwachung der gesamten Bevölkerung installiert werden! Die jetzt zu beschließenden Maßnahmen stünden auch Menschen mit den rechts- und innenpolitischen Auffassungen eines Herrn Schill zur Verfügung!

Stimmen Sie nicht über einen Gesetzentwurf ab, ohne sich über die Ergebnisse der Innenausschussberatung zu informieren! In der Beratung der Innenausschussanhörung haben drei Viertel der geladenen Sachverständigen das Gesetzesvorhaben als unverhältnismäßig, unangemessen und verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar kritisiert!

Für ausführliche Informationen finden Sie unter www.cilip.de/terror die Stellungnahme der unterzeichnenden Bürgerrechtsorganisationen zur Anhörung des Bundestagsinnenausschusses am 30.11.2001.


Unterzeichnet von:

  • Humanistische Union (HU)
  • Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)
  • Internationale Liga für Menschenrechte
  • Strafverteidigervereinigungen, Organisationsbüro
  • Vereinigung Berliner Strafverteidiger
  • Bürgerrechte & Polizei/CILIP
  • Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD)
  • Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ)
  • Komitee für Grundrechte und Demokratie
  • Chaos Computer Club
  • JungdemokratInnen/Junge Linke, Bundesverband
  • JungdemokratInnen/Junge Linke, Landesverband Berlin
  • Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär
  • Gustav Heinemann-Initiative
  • Redaktion "ak analyse & kritik"
  • Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V.
  • Flüchtlingsrat Berlin
  • "bis gleich..." Initiative für die Freilassung und gegen den Paragraphen 129a
  • Netzwerk Neue Medien
  • Redaktion "Ossietzky"
  • Redaktion "telegraph"
  • AG gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung (agisra)
  • Bundesverband NEUES FORUM
  • freier zusammenschluß von studentInnenschaften (fzs)
  • Bündnis linker und radikaldemokratischer Hochschulgruppen (LiRa)

Kontakt:
Annett Mängel, JungdemokratInnen / Junge Linke Bundesverband, Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin. Telefon: 030-440 248 64 oder 0177-239 2204, e-mail: AnnettMaengel@jdjl.org



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Erstellt am 13.12.2001 - letzte Änderung am 29.07.2002