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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 63 (2/1999)

abstand

Polizeiliche Todesschüsse 1998


von Otto Diederichs


So zynisch es klingen mag, aber für den polizeilichen Schußwaffengebrauch mit Todesfolge war 1998 ein vergleichsweise gutes Jahr. Mit acht Toten ist nach rund zehn Jahren erstmals wieder ein Tiefstand zu verzeichnen.[1] In mindestens vier Fällen hatten sich Straftäter zuvor einen Schußwechsel mit PolizistInnen geliefert, in dessen Verlauf sie getötet wurden.

Die offizielle Schußwaffengebrauchsstatistik der Innenministerkonferenz (IMK) läßt derzeit noch auf sich warten. Zwar liegt sie seit dem Frühsommer im sächsischen Innenministerium vor. Ihre Veröffentlichung durch den IMK-Vorsitzenden, Innenminister Klaus Hardraht, ist laut telefonischer Auskunft der Pressesprecherin erst im Herbst geplant.

Sowohl in der öffentlichen wie in der fachinternen Diskussion um den Schußwaffeneinsatz von Polizeibeamten stand im vergangenen Jahr ein Vorfall in München. Zwei der abgegebenen Schüsse hatten den Körper eines Mannes glatt durchschlagen und auch den hinter ihm Stehenden getötet (Fall 6/7). Innerhalb der Polizei hat daraufhin die Suche nach einer neuen, weniger gefährlichen Polizeimunition begonnen. Eine Entwicklung, die grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Einen entsprechenden Beschluß fällte die Innenministerkonferenz auf ihrer Sitzung im Juni. Was letztlich dabei herauskommen wird, ist gegenwärtig noch nicht zu beurteilen. Laut Presseberichten soll durch die Einführung von geeigneten „Deformationsgeschossen“ die Gefährdung Unbeteiligter „durch Abprall- und Querschläger“ verringert werden.[2]

Ebensowenig lassen sich aus der gesunkenen Zahl der Schußwaffenopfer gegenwärtig Schlüsse ziehen. Zwar geht deren Zahl etwa seit Mitte der 80er Jahre zurück und hat sich unterdessen bei durchschnittlich 10 bis 12 Fällen jährlich ‚stabilisiert‘, gleichermaßen sind jedoch ‚Ausreißer‘, sprich Veränderungen nach oben, immer wieder möglich.[3] Sowohl im Bereich der Munition wie auch polizeilichen Schußwaffenausbildung bleibt also noch einiges zu tun.

Polizeiliche Todesschüsse 1998

Fall 1 2 3 4
Name / Alter unbekannter Mann
Alter unbekannt
unbekannter Rentner
68 J.
unbekannter Tresorräuber; 22 J. Mile Pétrovic
37 J.
Datum 12.1.1998 25.1.1998 29.1.1998 6.4.1998
Ort / Bundesland Hünxe
Nordrhein-Westfalen
Ludwigshafen
Rheinland-Pfalz
Nieder-Florstadt
Hessen
Düsseldorf
Nordrhein-Westfalen
Szenarium Bei einer PKW-Kontrolle wird ein Zivilbeamter aus dem Auto heraus beschossen und in Beine und Brust getroffen. Der Beamte schießt zurück; der mutmaßliche Schütze wird tödlich getroffen. Die Polizei wird von Passanten alarmiert, aus einem Haus sei auf sie geschossen worden. Als vier Polizisten an der Wohnungstür klingeln, öffnet ein Mann und gibt mehrere Schüsse auf sie ab. Ein Polizist schießt zurück und trifft den Mann tödlich. Von einer Anwohnerin wird ein Einbruch in die Post gemeldet. Als die Polizei eintrifft, flüchten die mit Brechstangen bewaffneten Männer. Eine Beamtin schießt und trifft einen der Einbrecher tödlich. SEK-Beamte versuchen, einen als Gewaltverbrecher gesuchten Mann festzunehmen. Als die Beamten seine Wohnung stürmen, schießt er sofort. Die Polizisten schießen zurück und treffen ihn mit sieben Schüssen. In Griffweite finden sie eine Handgranate. Der Mann stirbt wenig später im Krankenhaus.
Opfer mit Schußwaffe? ja ja (Schreckschußpistole) unklar ja (und Handgranate)
Schußwechsel? ja ja unklar Ja
Sondereinsatzbeamte? Zivilbeamter nein nein ja
Verletzte / getötete Beamte? ja nein nein nein
Vorbereitete Polizeiaktion? nein nein nein ja
Staatsanwaltschaftl. Ermittlungsverfahren? ja ja ja ?
Gerichtsverfahren? ? ? ? ?
 
Fall 5 6 7 8
Name / Alter unbekannter Amokläufer Robert T.
48 J.
Leon T.
51 J.
unbekannter Mann
23 J.
Datum 30.10.1998 28.11.1998 25.12.1998
Ort / Bundesland Plaaz
Mecklenburg-Vorp.
München
Bayern
Grüne
Sachsen
Szenarium Nach mehreren Schüssen auf das Haus seiner mit ihm in Scheidung lebenden Frau flüchtet ein Mann vor der Polizei. Er schießt auf die ihn verfolgenden Streifenwagen. Die Polizisten erwidern das Feuer und treffen ihn tödlich. Ein Mann ruft die Polizei, da sein unter Verfolgungswahn leidender Bruder sich töten wolle. Als die Beamten aus der Wohnung Hilferufe hören, treten sie die Tür ein. Der psychisch Kranke sticht seinen Bruder mit einem Messer; dann greift er die Polizisten an. Als der Einsatz von Tränengas erfolglos bleibt, gibt eine Beamtin zwei Schüsse ab. Beide Kugeln durchschlagen den Körper des Mannes; ein Geschoß trifft den hinter ihm stehenden Bruder im Kopf und tötet ihn. Der Angreifer stirbt im Krankenhaus. Eine Frau ruft wegen Streitigkeiten mit ihrem Lebensgefährten die Polizei zu Hilfe. Im Verlauf des Einsatzes wird der Mann erschossen. Die näheren Umstände sind unklar.
Opfer mit Schußwaffe? ja nein (Messer) unklar
Schußwechsel? ja nein unklar
Sondereinsatzbeamte? nein nein nein
Verletzte / getötete Beamte? nein nein nein
Vorbereitete Polizeiaktion? nein nein nein
Staatsanwaltschaftl. Ermittlungsverfahren? ja ja ?
Gerichtsverfahren? nein nein ?

Otto Diederichs ist freier Journalist in Berlin.



[1] vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 62 (1/1999), S. 47
[2] Berliner Morgenpost v. 12.6.1999, die tageszeitung v. 12.6.1999
[3] vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/1993), S. 79 ff., Bürgerrechte & Polizei/CILIP 62 (1/1999), S. 41 ff.

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Erstellt am 09.05.2000 – letzte Änderung am 20.02.2001