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Schilys Terrorismusbekämpfungsgesetz: Der falsche Weg
Stellungnahme von Bürgerrechtsorganisationen zur Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 30. November 2001 zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) - Drucksache 14/7386 - vom 28.11.2001

6. Ausbau von BKA, BGS und Nachrichtendiensten durch das "Anti-Terror-Paket"

6.1 Das BKA-Gesetz

Das Gesetz über das Bundeskriminalamt soll durch die Novellierung an drei Punkten erweitert werden: Erstens wird die originäre Ermittlungszuständigkeit des Amtes ausgedehnt; zweitens werden Aktivitäten unterhalb des strafprozessualen Anfangsverdachts legalisiert; und drittens wird die Möglichkeit, zum Lauschangriff bei BKA-Einsätzen erweitert. Keine dieser Maßnahmen ist auf terroristische Straftaten beschränkt; sie bewirken vielmehr eine generelle Erweiterung der BKA-Kompetenzen. Die Novelle folgt offenkundig dem Bestreben, auf Bundesebene eine den Länderpolizeien "gleichwertige" Kriminalpolizei zu schaffen. Im Bundeskriminalamt kommen die Ressourcen, die das Amt als Zentralstelle in Serviceleistungen und im Informationsverkehr einnimmt, mit den erweiterten Ermittlungsbefugnissen zusammen. Damit wird die föderale Struktur des deutschen Polizeisystems weiter beschnitten.

a. Neue originäre Zuständigkeiten

Im ursprünglichen Gesetzentwurf wollte das Innenministerium die originären Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes, d.h. den Katalog derjenigen Delikte, in denen die Ermittlungsverfahren vom BKA - und nicht von den Länderpolizeien - geführt werden, erheblich ausweiten. Die Erweiterungen umfassen den neuen § 129b sowie die §§ 202a (Ausspähen von Daten), 303a (Datenveränderung) und 303b (Computersabotage). Darüber hinaus sollte die Zuständigkeit des BKA in § 129a-Verfahren erweitert werden, da zukünftig nicht allein solche mit internationalem, sondern auch jene mit "bundesweitem" Bezug in dessen Zuständigkeit fallen sollten. Obwohl von diesem Katalog in der vorliegenden Fassung allein der § 303b StGB übrig geblieben ist, zeigt der Entwurf, in welche Richtung die Vorstellungen des Innenministeriums gehen. Man möchte eine Bundespolizeibehörde mit möglichst weitreichenden originären Ermittlungszuständigkeiten. Da das BKA auch gegenwärtig Ermittlungen übernehmen kann, wenn die Landespolizeien oder der Generalbundesanwalt darum ersuchen oder der Bundesinnenminister dies anordnet, ist im Hinblick auf die Effektivität von Ermittlungen nicht ersichtlich, worin die Vorteile einer gesetzlich festgeschriebenen Zuständigkeit des Bundes liegen sollte.

Die nun vorgesehene Ermittlungskompetenz des Bundeskriminalamtes für "Computersabotage" (§ 303b StGB) soll nur für jene Fälle gegeben sein, in denen "die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder sicherheitsempfindliche Stellen von lebenswichtigen Einrichtungen, bei deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit oder das Leben von Menschen zu befürchten ist oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind" (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BKAG-E). Entgegen der mutmaßlichen Intention der AutorInnen des Entwurfs wird die BKA-Zuständigkeit durch diese Formulierungen jedoch nicht eingeschränkt werden. Denn Begriffe wie "sicherheitsempfindliche Stelle", "lebenswichtige Einrichtung", "erhebliche Bedrohung" sind unpräzise und geben dem Amt eine erhebliche Definitionsfreiheit. Angesichts der Verbreitung und Bedeutung von Computern ist die Reichweite dieser originären Ermittlungszuständigkeit nicht absehbar. Die vermeintlichen Einschränkungen können auch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Computersabotage unter Strafe gestellt wurde, um die Interessen der Wirtschaft und der Verwaltung an einer reibungslosen Datenverarbeitung zu schützen. Warum zu diesem Schutz zwingend das Bundeskriminalamt ermitteln soll, ist nicht plausibel.

b. Zukünftig BKA-Ermittlungen ohne Verdacht

Die Ermittlungsbefugnisse des Bundeskriminalamtes werden bisher durch die Bestimmungen der Strafprozessordnung begrenzt. Demnach müssen "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" für eine Straftat vorliegen, damit das BKA mit Ermittlungen beginnen kann. In den Koalitionsverhandlungen wurde der ursprünglich beabsichtigte § 7b gestrichen. Durch diese Vorschrift hätte das BKA sogenannten Initiativermittlungen führen können, also Ermittlungen, die nicht die Überprüfung eines bestehenden Verdachts dienen, sondern durch die ein Verdacht erst ans Licht befördert werden soll. Diese Kompetenz besitzen die Länderpolizeien schon seit geraumer Zeit. Durch die "vorbeugende Verbrechensbekämpfung" und die "Vorsorge für die Gefahrenabwehr" wurden die Landespolizeien ermächtigt, "Vorfeldermittlungen" zu führen, also nicht auf Straftaten oder konkrete Gefahren zu reagieren, sondern nach versteckten Delikten und möglichen Gefahren zu suchen.

Im vorliegenden Gesetzentwurf wurde statt des § 7b ein 2. Absatz in § 7 BKAG eingefügt. Durch ihn wird das Amt ermächtigt, "Daten zur Ergänzung vorhandener Sachverhalte oder sonst zu Zwecken der Auswertung mittels Auskünften oder Abfragen bei öffentlichen oder nicht-öffentlichen Stellen (zu) erheben". Obwohl nicht mehr von "Initiativermittlungen" die Rede ist, bleibt die Ausrichtung der Neuregelung dieselbe: Das BKA kann zukünftig für Auswertungsprojekte Daten von allen möglichen "Stellen" im In- und Ausland ohne Beteiligung der Länderpolizeien erheben. Bei diesen Auswertungsprojekten handelt es sich nicht um strafprozessuale Ermittlungen, sondern um den Versuch, aus allgemeinen Hinweisen oder kriminalistischen Hypothesen einen Verdacht zu "verdichten". Damit kann jede und jeder die Aufmerksamkeit bundespolizeilicher Ermittlungen auf sich ziehen, sofern er den Kriterien des "Verdachtes auf einen Verdacht" entspricht. Die Überprüfung solch vager Mutmaßungen soll mittels der aktiven Informationsbeschaffung bei anderen Stellen geschehen. Damit wird das Amt im Vorfeld des strafprozessualen Anfangsverdachts tätig; mithin wird es zu Initiativermittlungen ermächtigt. Dass es sich um eine Ermittlungszuständigkeit im Vorfeld handelt, wird auch durch die Gesetzesbegründung bestätigt, in der es heißt, dass das BKA die Staatsanwaltschaft informiert, "wenn es der Auffassung ist, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat und damit für die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens vorliegen".

Insgesamt kehrt die neue Regelung das traditionelle Verhältnis von Verdacht und Ermittlungen um: Nicht ein Verdacht löst Ermittlungen aus, sondern der Verdacht steht am (vorläufigen) Ende der Ermittlungen. Damit wird jede und jeder zum potentiellen Ziel von BKA-Ermittlungen. Von der Sache her ist es zudem weder zwingend noch plausibel, warum das Amt mit Vorfeldbefugnissen ausgestattet werden soll, die in umfassenderer Form bereits den Länderpolizeien zur Verfügung stehen. Durch die neue Ermächtigung wird die "Zentralstellenfunktion" des BKA weiter verändert. Bestand seine ursprüngliche Aufgabe darin, die Länder durch zentralisierte Wissensbestände zu unterstützen, so befreit die neue Vorschrift das Amt, mit den Länderpolizeien zusammenarbeiten zu müssen. Statt föderale Kooperation wird bürokratische Konkurrenz die Folge der Neuregelung sein. Im Ernstfall werden die BürgerInnen doppelt polizeilich überwacht werden.

c. Ausweitung von Lausch- und Spähangriffen

Gegenwärtig dürfen zur Eigensicherung von BKA-Bediensteten inner- und außerhalb von Wohnungen Gespräche abgehört und Personen gefilmt oder fotografiert werden (§ 16 BKAG). Dieser "kleine" Lausch- und Spähangriff war in das BKA-Gesetz eingefügt worden, um den Einsatz Verdeckter Ermittler abzusichern. Der Entwurf will die Beschränkung auf die Eigensicherung für "Bedienstete" streichen und auf die Sicherung der "vom Bundeskriminalamt beauftragten Personen" ausweiten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 BKAG-E). Durch diese Entgrenzung können die geheimen Überwachungsmethoden immer dann genutzt werden, wenn irgendeine Person im Auftrag des Bundeskriminalamtes eingesetzt ist oder eingesetzt werden soll. Diese Regelung wird die Überwachungsmöglichkeiten erheblich erhöhen: Sie wird auch beim Einsatz von sogenannten Vertrauens-Personen und Informanten ermöglicht. Dieser Personenkreis ist weder gesetzlich noch durch Verwaltungsvorschriften bestimmt. Mit der neuen Vorschrift kann auch der Einsatz ausländischer Polizisten in deutschen Ermittlungsverfahren mit technischer Überwachung begleitet werden. Der Gesetzentwurf erleichtert die Überwachung von Wohnungen und Personen auch dann, wenn Angehörige der Länderpolizeien, der Nachrichtendienste oder anderer öffentlicher Stellen beteiligt sind. (Bislang ist eine formale Abordnung erforderlich.) Diese weitgefassten Bestimmungen erlauben dem Amt, die Bestimmungen der StPO über die Überwachung mit technischen Mitteln zu umgehen. Um etwa eine Wohnung überwachen zu können, muss sich nur eine im Auftrag des BKA handelnde Person in diese Wohnung geschickt werden. Dass die Anordnung der Überwachung bei Gefahr im Verzuge durch einen Abteilungsleiter erfolgen kann - so die Neuregelung (§ 16 Abs. 2 Satz 2 BKAG-E) -, dürfte für die Polizeipraxis nur von geringer Bedeutung sein. Es ist aber ein deutliches Indiz dafür, dass der Gesetzgeber stärker an pragmatischen Verschlankungen als an effektiven Grundrechtsschutz interessiert ist.

6.2 Neue Kompetenzen für den Bundesgrenzschutz

a. Ausdehnung des Grenzgebietes im Küstenbereich auf 50 km

Bislang darf der Bundesgrenzschutz überall im 30 km tiefen Grenzgebiet verdachtsunabhängig Personen kontrollieren und Sachen durchsuchen. Die Gesetzesänderung sieht zum einen vor, dieses Gebiet im Küstenbereich auf 50 km auszuweiten. Zum anderen soll das Bundesinnenministerium ermächtigt werden, per Rechtsverordnung das Seegrenzgebiet auch weiter - jenseits der 50 km - auszudehnen, sofern der Bundesrat dem zustimmt (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 BGSG-E). Für diese Erweitungen gibt es keinen sachlichen Grund: Ein Kontrolldefizit an den seewärtigen Grenzen besteht derzeit nicht. Denn für die grenzpolizeiliche Sicherung der 12 Seemeilen- (22,2 km)-Zone des Küstenmeeres ist auch jetzt schon der Bundesgrenzschutz See bzw. die Küstenwache zuständig. Faktisch wird durch die vorgeschlagene Novellierung allein die räumliche Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes massiv ausgeweitet.

Mit der Erweiterung des Grenzgebietes per Rechtsverordnung könnten dann auch Städte wie Lübeck, Kiel, Wilhelmshaven oder Rostock flächendeckend vom BGS kontrolliert werden, ohne dass ein Bezug zu den grenzschützerischen Aufgaben des BGS deutlich würde. Dass das "seewärtige Grenzgebiet" eine Tiefe von 80 km nicht überschreiten darf, so die "Begrenzung" im vorliegenden Entwurf gegenüber der früheren Version, stellt lediglich sicher, dass nicht die ganze Bundesrepublik zum seewärtigen Grenzgebiet erklärt wird. Die 80 km-Grenze liefert auf jeden Fall ausreichende Handhabe, den BGS breitflächig in Norddeutschland einsetzen zu können. Es scheint weder von der Sache geboten oder argumentativ plausibel, warum der BGS weit im Hinterland verdachtsunabhängig kontrollieren und durchsuchen soll.

b. Verdachtsunabhängige Ausweiskontrollen

Bislang darf der BGS Personen anhalten und befragen, wenn anzunehmen ist, dass sie zur Erfüllung von BGS-Aufgaben sachdienliche Angaben machen können. Die Gesetzesänderung in § 22 Abs. 1 S. 3 BGS-Gesetz sieht als Erweiterung vor, dass BGS-Beamte auch mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung verlangen können. Diese Befugnis sei notwendig, so die offizielle Begründung, um bei der Befragung gewonnene Informationen auch später noch verifizieren und stichhaltig verwerten zu können. Denn der Mitwirkung von sog. auskunftspflichtigen Personen, heißt es dort, komme angesichts der aktuellen Sicherheitslage eine erhöhte Bedeutung zu.

Auch nach jetziger Rechtslage sind befragte Personen verpflichtet, ihre Personalien anzugeben, wenn dies zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Es ist daher unter diesem Gesichtspunkt überflüssig, Ausweise zu verlangen; zumal deutsche StaatsbürgerInnen nicht verpflichtet sind, ihre Ausweispapiere bei sich zu tragen.

Dass es hier nicht um die Informationsgewinnung bei möglichen ZeugInnen oder Personen geht, die etwas "Verdächtiges" gesehen haben, zeigt eine andere Passage der Begründung: Danach soll die neue Befugnis dem Bundesgrenzschutz die Möglichkeit geben, generell Ausweispapiere auf ihre Echtheit zu überprüfen, ohne die lästigen Schranken der bisherigen verdachtsunabhängigen Kontrollen beachten zu müssen.

Wenn der BGS unter dem Vorwand, jemanden befragen zu wollen, Ausweispapiere kontrolliert, ist dies ein verfassungswidriger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Verdachtsunabhängige Kontrollen sind bereits in der jetzigen Praxis durch rassistische Auswahlkriterien bestimmt. Die neue Zielrichtung, Terroristen, ihre Kundschafter und Unterstützer anhand gefälschter Papiere ausfindig machen zu wollen, erscheint angesichts der bisherigen Erkenntnisse über die Anschläge in den USA verfehlt. Opfer dieser Personenkontrollen werden wie bisher dem äußeren Anschein nach nicht-europäische "Ausländer" sein, d.h. Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen.

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind ein weiterer Schritt zur Etablierung des Bundesgrenzschutzes als einer im gesamten Bundesgebiet agierenden Polizei. Die Befugniserweiterungen widersprechen zentralen Verfassungsbestimmungen. Nicht der Terrorismus wird derart bekämpft, sondern der staatliche Rassismus wird weiter befördert.

6.3 Ausbau der Nachrichtendienste

Der Gesetzentwurf bringt erhebliche Ausweitungen für die deutschen Nachrichtendienste. Für das Bundesamt für Verfassungsschutz bedeutet das: Erstens werden die Aufgaben erweitert. Zweitens wird der Zugriff auf Daten Dritter verbessert. Drittens werden moderne Ortungssysteme verrechtlicht. Und viertens werden neue Zulieferungspflichten an das Amt eingeführt.

a. Neue Aufgaben

Das Bundesamt soll zukünftig auch Bestrebungen beobachten, die sich gegen den "Gedanken der Völkerverständigung" und "insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker" richten (§ 3 Abs. 4 BVerfG-E). Beide Bestimmungen sind vage. Es bleibt dem Amt überlassen, seine Beobachtungsobjekte zu bestimmen. Es ist nicht zu erwarten, dass das Amt zukünftig Personen, die zum weltweiten Krieg des Guten gegen das Böse aufrufen, unter Beobachtung stellen wird, wenn sie Deutschland besuchen. Vielmehr gibt die Formulierung einen weiteren Blankoscheck, alle möglichen Gruppen oder Sozialmilieus auszuspionieren.

b. Der Zugriff auf Daten Dritter

Durch die Novelle erhält das Bundesamt für Verfassungsschutz Zugriff auf Daten, die bei privaten Stellen anfallen. Das betrifft erstens "Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Finanzunternehmen", bei denen das Amt unentgeltlich Auskünfte über Konten, Kontoinhabern, Geldbewegungen etc. verlangen darf. Zweitens dürfen bei Unternehmen, die Postdienstleistungen erbringen, Namen und Adressen und "sonstige Umstände des Postverkehrs" vom Bundesamt abgefragt werden. Drittens wird das Amt ermächtigt, sich auch bei Luftfahrtunternehmen zu entsprechenden Auskünften zu besorgen. Und viertens sollen zukünftig auch Telekommunikationsunternehmen dem Dienst Auskunft über vergangene und zukünftige Verbindungsdaten und Nutzungsdaten geben (§ 8 Abs. 5-9 BVerfG-E). Mit diesen Bestimmungen, die zum Teil auch auf den Militärischen Abschirmdienst und den Bundesnachrichtendienst ausgedehnt werden, erhalten die Dienste erhebliche Möglichkeiten, Daten der Privatwirtschaft zu sammeln und auszuwerten. Zwar hat der Entwurf gegenwärtig davon abgesehen, eine Weitergabepflicht für alle Behörden oder Private zu statuieren, aber einerseits dürften sich die genannten Stellen nur in Ausnahmen den Anfragen der Dienste widersetzen, da diese dann mit ihrer eigenen Befugnis argumentieren können, andererseits scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die Weitergabeverpflichtungen andernorts geschaffen werden.

Da die Aktivitäten der Geheimdienste nicht von nachprüfbaren Verdachtsschwellen abhängig sind, versucht der Gesetzentwurf ein Mindestmaß an Kontrolle - und damit an potentieller Begrenzung geheimdienstlichen Erforschungsinteresses durch Anordnungs- und Berichtsvorschriften auszugleichen. Dabei verlässt der Entwurf an keiner Stelle das bestehende niedrige Niveau an Verfahrensvorschriften. Die Auskünfte von Banken und Luftfahrtunternehmen können durch den Behördenleiter angeordnet werden. Halbjährlich muss das Innenministerium dem geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium Bericht erstatten, das jährlich wiederum den Bundestag in der bekannt spärlichen Form informiert. Bei den Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis sind die Schwellen etwas höher gelegt, weil das Ministerium die G 10-Kommission beteiligt muss. Aber auch diese Beratungen finden im Geheimen statt. Sie werden auch nicht nachträglich veröffentlich. Wie im gesamten Geheimdienstbereich mangelt es auch bei diesen erheblich erweiterten Kompetenzen an einer gerichtlichen und/oder öffentlichen Kontrolle. Mit den Vorschriften werden Private verpflichtet mit den Nachrichtendiensten zusammenzuarbeiten - eine Pflicht, die sonst nur im Rahmen von Strafverfahren gegenüber der Polizei besteht.

c. Lokalisierung von Mobiltelefonen

Durch die Erweitung von § 9 des Bundesverfassungsschutzgesetzes wird eine Rechtsgrundlage für den Einsatz sogenannter IMSI-Catcher geschaffen. Durch diese können Geräte- und Kartennummer sowie Standort des Gerätes in einem bestimmten Bereich erfasst werden. Obgleich in der Begründung darauf abgestellt wird, dass "Angehörige terroristischer Gruppen" zunehmend Mobiltelefone benutzen, gilt die Ermächtigung für den IMSI-Catcher-Einsatz generell für alle Aufgabengebiete des Verfassungsschutzes. Worin den spezifische Notwendigkeit nachrichtendienstlicher IMSY-Catcher besteht, ist zudem nicht ersichtlich. In den genannten Beispielen ist eher von einer polizeilichen Zuständigkeit auszugehen. Die Regelung ist ein deutliches Beispiel dafür, dass eine allgemeiner "Modernisierungsrückstand" in der Sicherheitsgesetzgebung unter dem Segel der "Kampfes gegen den Terror" aufgeholt werden soll. Im Ergebnis wird die neue Norm dazu beitragen, dass die Überwachung des Telefonverkehrs durch die Verfassungsschutzbehörden erleichtert wird. Ihr Umfang, zu dem es keine verlässlichen Angaben gibt, wird wohl zunehmen.

d. Übermittlungspflichten

Bislang sind durch das Verfassungsschutzgesetz bereits einige Behörden verpflichtet, "von sich aus" relevante Informationen an das Bundesamt weiterzuleiten. Durch einen neuen Abs. in § 18 wird dies auf das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Ausländerbehörden der Länder ausgedehnt. Dabei wird es den Behörden freigestellt, ob sie ihre Daten an das Bundesamt oder an das jeweilige Landesamt für Verfassungsschutz weitergeben. Die Ausländerbehörden werden beauftragt, "ihnen bekannt gewordene Informationen einschließlich personenbezogener Daten" an die Ämter weiterzugeben, sofern sie denn Anhaltspunkte dafür sehen, dass jene Angaben für die Aufgaben der Ämter von Bedeutung sein könnten. Mit dieser Vorschrift werden die Ausländerbehörden zu Zulieferern der Verfassungsschutzämter. Die Beschäftigten in den Ausländerbehörden werden tendenziell zu Spitzeln des Verfassungsschutzes. Die Ausländer selbst werden durch das Gesetz mit einem Generalverdacht belegt. Es spricht gegen die Güte des Gesetzentwurfs und belegt erneut die Gesinnung, von dem sich die AutorInnen des Entwurfs leiten ließen, dass auch hier von keiner Begrenzung auf terroristische Bestrebungen die Rede ist.

(Norbert Pütter und Martina Kant, Bürgerrechte & Polizei/CILIP)

abstand

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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 28.11.2001 - letzte Änderung am 09.09.2002