Bürgerrechte & Polizei/CILIP · Aktuelles zum Anti-Terror-Paket · Inhaltsverzeichnis · < > |
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Schilys Terrorismusbekämpfungsgesetz: Der falsche Weg Stellungnahme von Bürgerrechtsorganisationen zur Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 30. November 2001 zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) - Drucksache 14/7386 - vom 28.11.2001 7. Maßnahmen im Straf- und Strafprozessrecht7.1 Zur geplanten Einführung einer KronzeugenregelungDie Kronzeugenregelung ist zwar nicht Gegenstand des vorliegenden Entwurfs des Terrorismusbekämpfungsgesetzes. Es ist aber davon auszugehen, dass Justizministerium und Innenministerium die Einführung einer solchen Regelung befürworten und mit der Notwendigkeit zur Terrorismusbekämpfung begründen werden. Die Strafverteidigervereinigungen lehnen die Einführung einer allgemeinen Kronzeugenregelung aus folgenden Gründen ab: a. Rechtsstaatliche GründeVerstoß gegen das Legalitätsprinzip Im deutschen Strafprozess gilt das Legalitätsprinzip als Ausdruck des Willkürverbots. Es gebietet, in der Frage, ob und wie Strafverfolgung stattfindet, gegenüber jedem Verdächtigen gleich zu handeln (Art. 3 Abs. 1 GG). Mit der geplanten Kronzeugenregelung wird der aussagende Täter grundlegend anders behandelt als der schweigende oder bestreitende, ohne dass diese Differenzierung unter Schuldgesichtspunkten zu rechtfertigen wäre. Unvereinbarkeit mit den anerkannten Strafzwecken Die geplante Regelung widerspricht den Grundsätzen der Spezial- und Generalprävention, weil die Tat in einer Weise bestraft wird, die mit der Schwere der Tat und der Schuld des Täters nicht in Zusammenhang steht. Sie widerspricht dem Gebot des Schuldausgleichs, weil die Strafmilderung zwar - was zulässig wäre - an das Nachverhalten des Täters anknüpft, dies aber nicht unter dem Gesichtspunkt der Feststellung der Schuld des Täters, sondern allein unter dem Gesichtspunkt, ob das Nachtatverhalten des Täters geeignet ist, Aufklärungshilfe im Hinblick auf andere Täter zu leisten. Das objektive Ausmaß der Aufklärungshilfe wird belohnt, eine Anknüpfung an die Schuld des Täters findet nicht mehr statt. Verstoß gegen das Gebot der Messbarkeit und Verlässlichkeit staatlichen Handelns Dieses aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot bedeutet, dass staatliches Handeln anhand der bestehenden Normen nicht nur messbar, sondern auch vorhersehbar sein muss. Mit der geplanten Kronzeugenregelung wird gegen diesen Grundsatz massiv verstoßen: Nur das Gericht, das alleine über das Strafmaß entscheidet, "kann" die Strafe mildern, wenn der Täter Aussagen im Sinne einer Kronzeugenregelung gemacht hat. Das Gericht hat in der Regel über den strafmildernden Wert von Aussagen zu befinden, die der Täter im Ermittlungsverfahren macht - zu einem Zeitpunkt also, zu dem Zusagen der Strafmilderung nur durch Polizei und Staatsanwaltschaft, nicht aber durch das später entscheidende Gericht gemacht werden können. Da die von der Kronzeugenregelung bezweckten Aussagen in der Regel auch eine Selbstbelastung des Täters beinhalten, bedeutet dies, dass der Täter sich aufgrund von Zusagen der Polizei und der Staatsanwaltschaft selbst belastet, ohne sich zugleich darauf verlassen zu können, dass die gemachten Zusagen durch das später entscheidende Gericht auch eingehalten werden. Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip Würde man davon ausgehen, dass die Gerichte sich verpflichtet fühlen, sich an die im Ermittlungsverfahren gegenüber einem aussagebereiten Straftäter gemachten Zusagen zu halten, hätten wir das Ergebnis, dass das Urteil im Ermittlungsverfahren von Polizei und Staatsanwaltschaft vorentschieden wird. Die Gerichte würden zu "Notaren" des im Ermittlungsverfahren Vereinbarten - eine Verschiebung der Gewichte, die mit den Säulen unseres Rechtsstaates nicht zu vereinbaren ist. Verstoß gegen das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren Der Beschuldigte, der von einem Kronzeugen belastet wird, sieht sich einem Zeugen gegenüber, der selbst in Straftaten verstrickt ist. Einem Zeugen, dessen Aussagen auf Vereinbarungen mit Polizei und Staatsanwaltschaft beruhen: Der Beschuldigte kennt die Vereinbarungen nicht und ist an deren Zustandekommen nicht beteiligt. Er sieht sich einem "Vertrag zu Lasten Dritter" zwischen Staat und Denunziant gegenüber. Der Anreiz zur Lüge für den Kronzeugen liegt auf der Hand, dennoch ist er Beweismittel im Prozess gegen den Beschuldigten. Das Gericht ist nicht gehindert, allein aufgrund der Aussage eines Kronzeugen zu verurteilen. Die Rechtsprechung hat zwar in den vergangenen Jahren die Anforderungen an die Beweiswürdigung im Bereich "Aussage gegen Aussage" angehoben. Zur Schöpfung einer Beweisregel, dass die Aussage eines Kronzeugen alleine nicht zur Verurteilung ausreicht, hat sie sich jedoch nicht durchringen können. Insofern ist bemerkenswert, dass die in einer Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen befragten Polizeibeamten in großer Mehrheit eine Regelung befürworten, die vorsieht, dass nicht alleine aufgrund der Aussage von "Kronzeugen" verurteilt werden darf. Dies sind die Personen, die am nächsten am Kronzeugen "dran" sind - sie wissen die Glaubwürdigkeitsproblematik offenbar realistisch einzuschätzen. b. Ethische ErwägungenPakt mit dem Straftäter nicht obwohl, sondern weil er in erhebliche Straftaten verwickelt ist Je höher der Kronzeuge in der Hierarchie einer Gruppe von Straftätern angesiedelt ist, desto eher hat er die Chance, sich durch Verrat der "unter ihm Stehenden" Vergünstigungen zu verschaffen. Die "unten" Stehenden, denen soviel Täterwissen wie möglich vorenthalten wird - die aber den gleichen Straftatbestand erfüllen - gehen leer aus. Der verwickelte Zeuge wird zum Objekt der Fürsorge des Staates Der käufliche Zeuge wird zum Programm. Zeugenschutzprogramme sorgen nicht nur für den Schutz des möglicherweise tatsächlich gefährdeten Zeugen, sie manifestieren die Denunziation - unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommene Kronzeuge genießt damit Vergünstigungen, die seine Lebensgrundlage bilden können. Wohnung und Arbeit können ihm vermittelt werden. Auch monatliche Geldzahlungen, die erheblich über den Sozialhilfesatz liegen können, gehören zur Praxis von Zeugenschutzprogrammen. Gerade der Kronzeuge der andere falsch belastet hat, kann einer besonderen Gefährdung ausgesetzt und damit erst recht darauf angewiesen sein, dass die Zeugenschutzdiensstelle ihn unterstützt. Er befindet sich in einem massiven Interessenkonflikt zwischen der Wahrheitspflicht als Zeuge und dem Bedürfnis, die eigene Lebensgestaltung, wenn nicht sogar die eigene Unversehrtheit, zu erhalten. Der Kronzeuge darf im Strafverfahren gegen den belasteten Beschuldigten nicht über seine persönlichen Lebensumstände im Zeugenschutzprogramm aussagen. Damit ist die mögliche Interessenkollision für die Verfahrensbeteiligten nicht einmal aufklärbar. Allein die Möglichkeit, dass bei einem im Zeugenschutzprogramm befindlichen Zeugen, eine derartige Konstellation gegeben sein könnte, sollte es verbieten, Urteile auf Aussagen eines solchen Zeugen zu stützen. c. Keine Erforderlichkeit der KronzeugenregelungenNach der Rechtsprechung ist das Aussageverhalten eines Kronzeugen, der nach Begehung der Tat sein Wissen den Ermittlungsbehörden gegenüber offenbart, bei der Strafzumessung nach § 46 StGB im Rahmen der Würdigung des Nachtatverhaltens zugunsten des Zeugen zu berücksichtigen. Das Aussageverhalten kann je nach Gewicht des Aufklärungsbeitrages zu ganz erheblichen Strafmilderungen und sogar zur Annahme eines minderschweren Falles führen. Bei Annahme eines minderschweren Falls eröffnen sich zugunsten des Kronzeugen beachtliche Strafrahmenverschiebungen, die ein Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststrafe ermöglichen. Mit diesem seit langem von der Rechtsprechung anerkannten Instrumentarium lassen sich bei allen Verbrechenstatbeständen, mit Ausnahme des Tatbestandes des Mordes, die Kronzeugenleistungen eines Beschuldigten ausreichend berücksichtigen. Ehe man eine Kronzeugenregelung einführt, um auch dem in Morde verwickelten Täter einen Anreiz zur Aussage zu geben, sollte man daran denken, einen minderschweren Fall des Mordes einzuführen: Damit hätte man ein Instrumentarium mit dem der Ungerechtigkeit, die im Einzelfall mit der Absolutheit der lebenslangen Freiheitsstrafe verbunden sein kann, im Strafmaß begegnet werden kann. 7.2 Zum Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes § 129 b StGB (Bundestagsdrucksache 14/7025)Nach bislang geltendem Recht ist die Beteiligung an kriminellen oder terroristischen Vereinigungen in Deutschland nur dann strafbar, wenn die Vereinigung, der der Beschuldigte angehören soll, zumindest in Form einer Teilorganisation im Bundesgebiet besteht (BGH St 30, 328, 329 ff.). Nach § 129 b StGB-E sollen die Vorschriften der §§ 129 und 129a nunmehr auch auf Vereinigungen im Ausland ausgeweitet werden, also auch solche Vereinigungen erfassen, die nicht im Bundesgebiet organisiert sind. Dieser Gedanke ist nicht neu. Er wurde bereits in den 70er und 80er Jahren diskutiert. Der ehemalige Generalbundesanwalt Rebmann hat bereits damals darauf hingewiesen, dass eine solche Erstreckung des Anwendungsbereiches des § 129 a StGB auf ausländische Vereinigungen nicht durchführbar ist: "Deutsche Gerichte müssten - ohne zureichende Ermittlungsmöglichkeiten vor Ort - tragfähige Feststellungen über die jeweilige Struktur der ausländischen Organisation, deren Zielsetzung und personeller Zusammensetzung treffen. Diese kurze Bemerkung Rebmanns spricht die beiden neuralgischen Punkte der vorgeschlagenen Neuregelung an: Zunächst stellt sich das praktische Problem, wie die Strafverfolgungsbehörden, die im Ausland nicht eigenständig, sondern allenfalls aufgrund langwieriger Rechtshilfeersuchen ermitteln können, das erforderliche Beweismaterial zur Feststellung von im Ausland bestehenden Organisationsstrukturen zusammentragen sollen. Die praktischen Erfahrungen mit den §§ 129, 129a StGB haben gezeigt, dass es den Strafverfolgungsbehörden und den Strafgerichten bereits im Inland außerordentlich schwer fällt, tragfähige Feststellungen zu dem Bestehen einer kriminellen oder gar terroristischen Organisationsstruktur zu treffen. Auf eine kleine Anfrage der PDS im Bundestag im Frühjahr 2000 teilte die Bundesregierung mit, dass von den Ermittlungsverfahren, die während der 90er Jahre nach § 129 a StGB eingeleitet wurden, lediglich drei Prozent mit einem gerichtlichen Urteil endeten (gegenüber 40 Prozent bei anderen Delikten). Die Ermittlung einer Organisationsstruktur ist zudem erschwert, wenn wie beispielsweise bei den Anschlägen vom 11.09.2001 keine Tatbekennung von der Tätergruppe veröffentlicht wird. In Verfahren nach § 129b StGB werden die Ermittlungsbehörden und die Gerichte eine Organisationsstruktur nur mit Hilfe von Beweismitteln feststellen können, die von ausländischen Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdiensten ermittelt wurden. Dies führt zu einer Vielzahl hochproblematischer Fragen, die derartige Strafverfahren erheblich belasten und verlängern werden. Wie soll beispielsweise mit Beweismitteln verfahren werden, die nach ausländischem Recht in zulässiger Form erhoben wurden, nach deutschem Recht aber nicht hätten erhoben werden dürfen? Wenn die Frage der Verwertbarkeit ausländischer Beweismittel geklärt ist, stellt sich weiter die Frage nach ihrer Zuverlässigkeit, also ihrem Beweiswert. Im Bereich organisierter krimineller oder terroristischer Strukturen wird vielfach nur mit heimlichen Ermittlungsmethoden, insbesondere mit geheimdienstlichen Mitteln, mit V-Personen oder mit Undercoverpolizisten ermittelt werden können. Es erscheint wenig aussichtsreich, diese Zeugen vor einem deutschen Gericht vernehmen zu wollen, wenn man bedenkt, dass bereits die deutschen Strafverfolgungsbehörden ihre Quellen ungern preisgeben, was zu mittelbaren Beweiserhebungen führt, die eine Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Quellen nahezu ausschließt. Die Frage verschärft sich, wenn man die politische Dimension derartiger Verfahren berücksichtigt. Sollen z.B. die Erkenntnisse türkischer Polizei oder Geheimdienste betreffend die PKK ohne grundlegende kritische Überprüfung übernommen werden können? Es besteht die Gefahr, dass derartige Ermittlungsergebnisse voll ideologischer Färbungen sind, die von deutschen Strafverfolgungsbehörden und Gerichten - wenn überhaupt - nur unter allergrößten Mühen und möglicherweise sogar diplomatischen Irritationen aufzuklären sind. Der letztgenannte Aspekt führt zu dem weiteren von Rebmann angesprochen kritischen Punkt einer strafbaren Unterstützung ausländischer Vereinigungen - dem Legitimitätsproblem. Die Bewertung, ob gegen eine ausländische Regierung von opponierenden Gruppen ausgeübte Gewalt als terroristisch oder aber als legitimer Widerstand gegen ein Unrechtsregime und daher unter Umständen sogar als förderungswürdig anzusehen ist, kann sich auf wenig Vorgaben stützen, die unabhängig von tagespolitischen Entwicklungen oder gar bündnis- und außenpolitischen Interessen als objektive Maßgaben bestünden. Eine Problematik die um so schwerer wiegt, wenn es diesen oppositionellen Gruppen sogar gelingt, die Regierungsgewalt in dem entsprechenden Staat zu erringen oder eine staatsähnliche Herrschaft in Landesteilen auszuüben. Eine Klärung dieser Fragen durch die Bundesanwaltschaft ist vor dem Hintergrund sich ständig ändernder Machtverhältnisse in vielen Ländern weder wünschenswert noch möglich. Dies zeigt sich am Beispiel der Taliban, die - so heißt es - mit Unterstützung des CIA die fast vollständige Kontrolle über Afghanistan übernahmen. Wären um bei diesem Beispiel zu bleiben aus heutiger Sicht Mitarbeiter der CIA, die seinerzeit die Taliban massiv unterstützten, nach § 129b StGB zu bestrafen? 7.3 Auswirkungen der Regelungen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes auf das StrafverfahrenDie Regelungen über die Erhebung und Übermittlung von Daten durch und an das Bundesamt für Verfassungsschutz (Art. 1, §§ 8,18 E-TB) und die Kompetenzerweiterung für das Bundeskriminalamt in Art. 10 § 7 Abs.2 E-TBK lassen befürchten, dass die neuen Vorschriften erheblichen Einfluss auf die Durchführung von Strafverfahren haben werden. Es ist zu erwarten, dass Ermittlungsverfahren eingeleitet und Verdächtige verhaftet werden aufgrund von Erkenntnissen, deren Entstehungsgeschichte und Hintergrund der Beschuldigte nicht nachvollziehen und nicht überprüfen kann. Jeder Beschuldigte hat einen Anspruch auf ein faires Verfahren. Dieses Recht wird aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet und durch Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert. Kernstück des fairen Verfahrens ist die Gewährleistung von "Waffengleichheit" zwischen Angeklagten und Staatsanwaltschaft. Die verfahrensrechtliche "Waffengleichheit" ist gestört, wenn Angeklagte durch ein für sie nicht durchschaubares Zusammenwirken von Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden in ihrem Recht, aktiv auf Gang und Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss zu nehmen, behindert oder gar ausgeschlossen werden. Die Ausdehnung der Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamts öffnet Tor und Tür für ein derartiges undurchschaubares Zusammenwirken von Polizei und Verfassungsschutz. Es besteht die Gefahr, dass Beschuldigte in Zukunft vermehrt mit solchermaßen gewonnenen Erkenntnissen konfrontiert werden. Sie würden zum Objekt des Verfahrens degradiert, wenn sie geheim gewonnene Erkenntnisse nur noch zur Kenntnis nehmen, nicht aber aktiv auf den Gang des Verfahrens Einfluss nehmen könnten. Ein solchermaßen gestaltetes und beeinflusstes Strafverfahren wäre verfassungswidrig und würde derzeit anerkanntem rechtsstaatlichem Standard widersprechen. (Margarete v. Galen, Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen) |
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© 2001 bei den verfassenden Organisationen und Einzelpersonen HTML-Auszeichnung: Martina Kant Erstellt am 28.11.2001 - letzte Änderung am 09.09.2002 |