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Schilys Terrorismusbekämpfungsgesetz: Der falsche Weg
Stellungnahme von Bürgerrechtsorganisationen zur Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 30. November 2001 zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) - Drucksache 14/7386 - vom 28.11.2001

9. Gesetze, die vor dem Terrorismus schützen sollen, jedoch nur Schaden bewirken: eine kleine grundrechtlich begründete rechtsstaatliche Summe

Das vom Bundesministerium des Innern eingebrachte Gesetzespaket ist von uns in seinen verschiedenen zum Teil sehr heterogenen, jedoch alle konzentriert auf die Terrorismusbekämpfung gerichteten bzw. dadurch gerechtfertigten Teilen rechtlich qualifiziert worden. Dieses Gesetzespaket, das zeigen Analyse und Bewertung der einzelnen Paragraphen und ihrer diversen Kontexte, ist einer Hinsicht erstaunlich geraten. Es verspricht nur negative Effekte. Indes: keinerlei positive. Und dies auch nicht in Sachen Antiterrorismus. Dadurch wird eines deutlich und klar: die in diesem Paket enthaltenen gesetzlichen Gaben sind ersatzlos abzulehnen, versteht sich die Legislative als Grundgesetzhüter recht. Dass das Gesetzespaket so eindeutig nur negativ gekennzeichnet werden muss, liegt mutmaßlich daran, dass sich die vorschlagende Exekutive - von der Eilbedürftigkeit nach dem 11. September angetrieben - nicht zureichend Zeit gelassen hat, das, was vielleicht an neuen gesetzlichen Ermächtigungen von Polizei und Geheimdiensten nottut, zureichend auszuloten und zu begründen. Ein schlecht, ja fahrlässig und falsch gezimmertes Gesetz bzw. verschiedene in schon bestehende Gesetze einzumontierende Teile schadet ungleich mehr, als ein ausgegorenes Gesetz, das entsprechend wohlbegründet den zu erweisenden Nöten der Terrorismusbekämpfung entspricht. Heiße Nadeln nähen gesetzlich allemal kontraproduktiv.

Dem anti-terroristischen Gesetzespotpourri mit mehreren durchgehenden Grundtöten fehlt zum einen die zureichende Begründung (1.); ob es darum antiterroristisch irgend nützt ist überaus fraglich (2.); es ist dagegen eindeutig und klar rechtstaatswidrig, wird der Rechtstaat von seinem Fundament und Hauptbezug: den Grund- und Menschenrechten her - mitsamt den Artikeln 1 und 20 GG - verstanden (3.). Das Gesetzespaket beeinträchtig die ohnehin prekär schwache parlamentarische Kontrolle, es hebelt die so notwendige inneradministrative Kontrolle weiter aus (4.); es schaltet die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland antiterroristisch gleich und degradiert Ausländerinnen und Ausländer zu willkürlich zu traktierenden Sicherheitsobjekten (5.); Polizei und Geheimdienste werden noch näher aneinander gerückt, der Datenschutz wird in Sachen innerer Sicherheit und nicht nur innerer Sicherheit nahezu aufgegeben, entgegen dem verfassungsorganisatorischen föderalistischen Wesenselement und ohne erkenntliche Notwendigkeit wird die Gestalt einer Bundespolizei in Form des BGS nahezu fertig gezimmert (6.). Am schlimmsten jedoch sind die oben genannten "Grundtöne", die alle geplanten gesetzlichen Änderungen durchdringen und vereinheitlichen. Das Gesetzespaket

  • fördert zum ersten die Ausländerfeindlichkeit, die ihrerseits zum erneuten Anlass werden mag, die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger im Zeichen des "Bündnisses für Toleranz" zu diskriminieren; die Effekte auf die deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger im ausgedehnten Lauschangriff, in neuen Formen der Residenzpflicht, der Einschränkungen der Freizügigkeit u.a.m. sind heute schon sichtbar;
  • zum zweiten stellt das Gesetzespaket in der Fülle seiner diversen, hier jedoch einheitlich wirkenden Regelungen und den damit begründeten potentiellen Maßnahmen zentrale Grund- und Menschenrechte in einer Weise in Frage, dass von einem gesetzeswillkürlich erzeugten Grundrechtenotstand gesprochen werden muss. Zu diesen in zerzausten und durchlöcherten Grund- und Menschenrechte gehören - die prinzipiell gleicherweise für Ausländerinnen und Ausländer gelten -: das Grundrecht auf Integrität (Art.2 GG), hier besonders das vom Bundesverfassungsgericht 1983 daraus hergeleitete Grundrecht auf "informationelle Selbstbestimmung"; das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG), das Grundrecht auf Integrität der Wohnung (Art. 13 GG), sogar das 1993 überaus begrenzte Grundrecht auf politisches Asylrecht (Art. 16a GG) und nicht zuletzt das Grundrecht auf menschliche Würde, das allen anderen Grundrechten zugrunde liegt. Art.1 Satz 1 GG: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Dort, wo Ausländerinnen und Ausländer zu Sicherheitsobjekten werden, wo ihre Person keine Rolle mehr spielt, wird dieses Grundrecht verletzt;
  • zum dritten schadet das Gesetzespaket dem Grundgesetz und der durch dasselbe begründeten Bundesrepublik als lebendiger Demokratie. Nicht Schutz und Sicherheit der Demokratie und ihrer Bürger/-innen stehen an erster Stelle, sondern die gesetzlich produzierte Fiktion einer apparativ und auf Kosten der Grund- und Menschenrechte produzierten "perfekten" Antiterrorismus.

Nur wenige Bemerkungen mögen die oben im einzelnen belegten kritisierten Hauptelemente deutlich machen:

1. Die zusätzlichen Profilierungen einzelner Gesetze vom Antiterrorgesetz bis zu erweiterten Kronzeugenregelung - es handelt sich eben nicht "nur" um Runderneuerungen -, werden in dreifacher Weise unzureichend begründet: es wird nicht ausreichend gesagt, warum die seitherigen Regelungen nicht zureichen und welche Mängel die neu getroffenen beheben sollen (zum ersten); es wird nicht genauer dargestellt, warum die neuen Regelungen die antiterroristischen Maßnahmen verbessern sollen; und zwar wie mit welchem erwarteten Effekt (zum zweiten); es wird nicht im mindesten, wenn schon nicht über die simpel unterstellten Nutzen, so dann doch über die bürgerrechtlichen Kosten gesprochen. Also mangelt jede angemessene, unabdingbar notwendige Güterabwägung, gleichfalls jede Abschätzung der Verhältnismäßigkeit der geplanten Regelung. Und zwar sowohl singulär, als auch im Kontext der übrigen Regelungen. Dass ein völlig diffuser Begriff des Terrorismus hinzukommt, der alles und jedes erlaubt, entzieht den Gesetzesvorschlägen das nötige Fundament.

2. Ob das Gesetzespaket antiterroristisch nützt, kann angesichts des vagen Sach-, genauer Kriminalverhalts, der da bekämpft werden soll, nicht genau gesagt werden. All das, was wir historisch wissen - unter anderem aus der Zeit des heißen antiterroristischen Kampfes in der Bundesrepublik während der 70er Jahre oder aus vergleichenden Studien -, all das belegt bis in Beweisnähe, dass die gesetzlichen Ermächtigungen, die jetzt verlangt werden, die ihnen zugeschriebene Wirkung nicht zeitigen werden. Zum Teil gilt sogar das glatte Gegenteil.

3. Rechtstaatswidrig sind die neuen gesetzlichen Versatzstücke, gebraucht man einen grund- und menschenrechtlich notwendig konservativen Begriff des Rechts und dem gemäß des Rechtsstaats. Zu demselben, liberaldemokratisch gegen absolutistische Herrschaft und ihre Willkürherrschaft errungen (die arcana imperii), gehört, dass die jeweiligen Gesetze je einzelnen und im Verbund durch möglichst eindeutige Rechtsbegriffe rechtssicher bürgerlich berechenbar sind. Dazu ist es auch erforderlich, dass Gesetze eindeutig und klar der Wenn-Dann-Regel folgen. Wenn eine bestimmte Norm verletzt wird, dann... Der jetzt vorgelegte Regelungsverbund zeichnet sich dem entgegen durch zwei durchgehende Merkmale aus: durch eine Fülle unbestimmter Rechtsbegriffe, die bis zu generalklauselartigen Formulierungen reichen zum einen; durch die Ablösung des gesetzlichen "Konditionalprogramms" (wenn..., dann...) durch das, was ein gesetzliches Zweckprogramm genannt worden ist. Bestimmte pauschale Ziele, hier Innere Sicherheit allgemein und Anti-Terrorismus, werden vorgegeben. Ihnen gemäß kann die jeweils zuständige Exekutive, können also Polizeien und Geheimdienste je nach ihrer Zweckauslegung nur vage, durch unbestimmte Rechtsbegriffe begrenzte Instrumente wählen. Diese Art von exzessiver Rechtsgebung, wie sie im vorliegenden Gesetzespaket betrieben wird, spricht einem für die Bürger berechenbaren, ihrer Sicherheit dienenden, Grund- und Menschenrechte durch die Einzelgesetze umsetzenden Rechtsstaat Hohn. Es reicht also nicht aus, wenn sich der Innenminister und andere als Pathetiker des Rechtstaats präsentieren. Der Rechtstaat, den sie meinen, den sie verstärkt schaffen, bedeutet das Ende aller bürgerbezogenen, von Bürgern rechtssicher annehmbaren Rechstaatlichkeit. Die Form des herkömmlichen Rechts wird plattgefahren wie ein durchlöcherter Schlauch.

4. Das Parlament hat aus einsichtigen Gründen ohnehin erhebliche Schwierigkeiten, die Polizei und die Geheimdienste zu kontrollieren und also seinem unabdingbaren Auftrag der Kontrolle der Exekutive gerade in den sensiblen Bereichen bürgerlicher Sicherheit zu genügen. Die neuen, exekutives Ermessen vorwärts verlängernden Regelungen machen die Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle vollends zur Farce. Wie soll kontrolliert werden, wenn pauschale Ermächtigungen der Exekutive vorliegen? Wie soll kontrolliert werden, wenn der geheimdienstliche Sektor, wohlgemerkt auch im Rahmen der Polizei, ausgedehnt wird?
Hinzukommt, dass auch die wichtige inneradministrative Kontrolle, insbesondere die Kontrolle durch die Staatsanwaltschaften ausgehebelt wird, weil informationell die Polizei und die Geheimdienste vorrangig sind.

5. Die neu geplanten Regelungen schreiten fort auf dem demokratisch rechtsstaatlich abschüssigen Weg, die prinzipielle Unschuldsvermutung gegenüber den (eigenen) Bürgerinnen und Bürgern aufzugeben. Eine Unschuldsvermutung, die menschenrechtlich für alle Menschen zu gelten hat. Jede Bürgerin und jeder Bürger kann mehr und mehr nach gesetzlicher Laune - infolge der rechtstaatskonträren Unbestimmtheit der Gesetze - und nach exekutivischer Gefahreneinschätzung á la "vorbeugendem Sabatogeschutz" als potentielle Täterin verdächtigt und traktiert werden. Es könnte ja etwas gefunden werden. Noch schlimmer verhält es sich mit den Ausländerinnen und Ausländern. Sie sind, folgt man den neuen Regelungen, prinzipiell qua Ausländersein verdächtig. Darum müssen sie ihre Integrität in einer Weise preisgeben, die menschenrechtlich kein Verhältnis mehr kennt. Wenn sie Deutsch lernen, sollten sie das Wort Datenschutz möglichst nicht in ihren Wortschatz aufnehmen, ja Art. 2 GG und andere Grundrechtsartikel werden für sie bestenfalls je nach sichernder Laune der Exekutive beschränkt.

6. Eine Reihe der neu vorgesehenen Regelungen verwischen die technisch ohnehin allmählich verwischte Grenze zwischen exekutiver Polizei einerseits und informationeller Polizei (also dem, was im angelsächsischen intelligence service heißt) andererseits. Damit werden undramatisch, sachlich jedoch dramatisch Spuren der Gestapo wieder neu gelegt. Hinzukommt, dass die Grenzen zwischen Polizei und Militär, eine der großen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts mit all ihren wichtigen bürgerlich rechtstaatlichen Folgen durch einige der Regelungen verwischt werden.
In dem vom vorschlagenden BMI überhaupt nicht bedachten Zusammenhang institutioneller Konsequenzen seiner Vorschläge, Konsequenzen, die nicht selten der Verfassung des Grundgesetzes widersprechen, gehört auch die Art und Weise, wie nicht nur das Bundeskriminalamt (BKA) ohne Not noch mehr zur Superbehörde promoviert wird als schon zuvor gegeben gewesen ist. Vielmehr wird auch der Bundesgrenzschutz (BGS) über das schon aufgrund des 92er Gesetzes gegebene Maß hinaus nahezu vollends, und erneut durch keinen Zwang gerechtfertigt, zur Bundespolizei hoch verrechtlicht.

Nein, dieses vom Innenministerium vorgelegte Gesetzespaket darf der Bundestag sehenden Auges nur dann übernehmen - und diese Bemerkung gilt für jeden Paketteil einzeln, sie gilt noch mehr für das Gesamtpaket -, wenn ihm an der inneren Sicherheit der Bundesrepublik als Grundrechts- und Menschenrechtssicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger einschließlich aller in der Bundesrepublik lebenden und in sie kommenden Ausländerinnen und Ausländer nicht gelegen ist. Dieses Gesetzespaket gilt nur und wirkt nur im Sinne von sicherheitsstaatlich mobilisier- und je und je befriedbaren Bürgerobjekten.

(Wolf-Dieter Narr, Komitee für Grundrechte und Demokratie)

abstand

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HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 28.11.2001 - letzte Änderung am 09.09.2002