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Schilys Terrorismusbekämpfungsgesetz: Der falsche Weg
Stellungnahme von Bürgerrechtsorganisationen zur Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 30. November 2001 zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) - Drucksache 14/7386 - vom 28.11.2001

8. Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung auf europäischer Ebene

8.1 Darstellung der geplanten Maßnahmen

Die "Anti-Terrorism Road Map"

Schon wenige Tage nach dem 11. September 2001 wurden auf europäischer Ebene weitreichende Maßnahmen der sogenannten Terrorismusbekämpfung beschlossen. Auf dem hierfür einberufenen Treffen der Justiz- und Innenminister der EU am 20.09.2001 wurde die "Anti-Terrorism Road Map" (SN 4019/2001) beschlossen, die am 26.09.2001 veröffentlicht wurde und zu späteren Zeitpunkten geringfügig überarbeitet (vgl. diese und andere Materialien auf dem EU-Server: http://www.europa.eu.int). Der Plan unterscheidet zunächst zwischen

  • Maßnahmen innerhalb der Europäischen Union
  • Maßnahmen zur Verbesserung der Kooperation mit den USA und - hier zu vernachlässigen -
  • Maßnahmen der Zusammenarbeit mit den EU-Beitrittskandidaten.

Die Maßnahmen innerhalb der EU sind in operationelle und legislative Maßnahmen zu unterscheiden. Die wichtigsten operationellen Vorhaben sind die Kooperation zwischen militärischen Geheimdiensten, die Zusammenstellung von gemeinsamen Ermittlungsteams von Polizei, Richtern und Pro Euro Just, die Zusammenarbeit zwischen Anti-Terroristen-Richtern, die Zusammenarbeit zwischen Richtern und Polizeibehörden, das Zusammentreffen von Anti-Terror-Polizeispezialisten, die Erstellung von Analysedateien über Terrorismus sowie die Zusammenstellung von Anti-Terror-Spezialisten bei Europol, die Regelung des Zugangs von Anti-Terror-Ermittlern zum Schengener Informationssystem (SIS), die Koordination der Zusammenarbeit zwischen Sicherheits- und Geheimdiensten, ein verbesserter allgemeiner Datenaustausch, erhöhte Sicherheitsvorkehrungen an den EU-Außengrenzen sowie weitere Maßnahmen.

Auf der legislativen Ebene sind folgende Vorhaben zu nennen:

  • Euro-Just. Die gerade aufgebaute Informationsbehörde von europäischen Staatsanwälten soll operational werden.
  • Der europäische Haftbefehl soll das herkömmliche Auslieferungsverfahren ersetzen.
  • Eine europaweite Definition von Terrorismus soll geschaffen werden.
  • Ein europaweites Verfahren zum Einfrieren von Bankkonten von Verdächtigen soll gefunden werden.
  • Die europäische Auslieferungskonvention soll von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden.
  • Die europäische Rechtshilfekonvention soll von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden.
  • Die europäische Ausländer- und Asylgesetzgebung soll im Hinblick auf die Anti-Terror-Gesetzgebung untersucht werden.
  • Ausgehend von dem Vorschlag der Kommission zur Cybercrime-Bekämpfung vom Januar 2001 sollen Attacken auf Informationssysteme und die Verfolgung von Computerkriminalität nunmehr im Rahmen der Anti-Terror-Gesetzgebung weiter verfolgt werden. Die sogenannte "Budapester Konvention" wurde am 23.11.2001 von den Europaratsstaaten und einigen weiteren Staaten verabschiedet. Schließlich soll
  • eine Balance zwischen Datenschutz und Polizeieffizienz gefunden werden im Hinblick auf die europäische Datenschutzdirektive. ( Nur am Rande: während bei den vorher aufgezählten Maßnahmen als Deadline/Frist zumeist sofort der 6./7.12.2001, das EU-Gipfeltreffen in Laeken am 13./14.12. 2001 oder ähnlich frühe Zeitpunkte gesetzt werden, ist für den letztgenannten Punkt noch kein fester Zeitpunkt bestimmt).

8.2 Vorläufige Analyse

Von den operationellen Maßnahmen sind einige bereits umgesetzt worden. So wurden für das Bundeskriminalamt im Rahmen des Maßnahmenkataloges für den Mehrbedarf Innere Sicherheit am 13.11.2001 DM 3.190.000,00 genehmigt. Zur Begründung dieses Mehrbedarfs wird auf die Bildung der Expertenteams gegen Terrorismus, bestehend aus 30 abgeordneten Beamten der Mitgliedstaaten, und 18 neuen Stellen bei Europol, die Teilnahme an EU-weiten Ermittlungsteams, die Entsendung von Verbindungsbeamten in die USA und zu Interpol sowie weitere Dritte-Säule-Aktivitäten verwiesen. Entscheidend ist, dass im Rahmen der Anti-Terror-Maßnahmen auf europäischer Ebene der Trend fortgesetzt wird, der besonders deutlich bei der Ratifizierung der Europol-Konvention durch die nationalen Parlamente im Jahre 1999 und der Arbeitsaufnahme von Europol zu beobachten war: Ein undurchdringliches Wirrwarr von Gremien der europäischen Exekutive arbeitete eine für Außenstehende schwer durchschaubare Vielfalt von Vorschlägen aus, die in regelmäßigen Abständen zwischen weiteren Gremien hin- und hergeschoben und verändert wurden; Aufgaben, Rechtsgrundlagen und deren Verhältnis zueinander war (und ist) nur für Vertreter derselben Exekutive zu entziffern ist. Oft beginnen auf europäischer Ebene die Arbeiten ohne rechtliche Grundlage (Beispiel: European Drugs Unit). Die Exekutive arbeitet anschließend Rahmengesetze und Konventionen aus, deren Auswirkungen für bürgerlich demokratische Rechte vom europäischen Parlament, den nationalen Parlamenten und erst recht der europäischen Öffentlichkeit viel zu spät erkannt werden. Zuletzt wurde bei der Europol-Konvention allen nationalen Parlamenten, die einzelne Bestandteile der Konvention kritisierten, immer wieder entgegen gehalten, dass die Konvention als gesamtes, auf europäischer Ebene verabschiedet worden sei und daher einzelne Veränderungen von nationalen Parlamenten praktisch nicht mehr durchsetzbar seien. Bereits kurze Zeit nach der Arbeitsaufnahme von Europol schlossen sich der grundlegenden Kritik der wenigen Bürgerrechtsorganisationen das europäische Parlament, einige nationale Parlamente sowie das niederländische, als auch Richter und Staatsanwälte auf europäischer Ebene und Landesjustizverwaltungen an. Der Befund war eindeutig, Europol kann auf der jetzt bestehenden Rechtsgrundlage weder parlamentarisch noch justiziell kontrolliert werden. Die Installierung der Koordinationsbehörde Euro-Just war der nachträgliche hilflose Versuch, der sich verselbständigen polizeilichen Exekutive durch eine kleine, mit geringen Mitteln ausgestattete und in der Planung befindliche Gruppe von aus den Mitgliedstaaten entsandten Staatsanwälten beobachten zu lassen.

Besonders kritikwürdig scheint, dass Europol bereits operationell tätig ist, ohne offiziell operationell tätig sein zu dürfen. Dies betrifft zum einen die Erstellung von sogenannten Analysedateien; es bedarf keiner näheren Begründung, dass die Datensammlung, Datenübermittlung und Datenanalyse auch auf europäischer Ebene Grundrechtseingriffscharakter hat. Dazu kommt die Arbeit im Drogenbereich bei überwachten Lieferungen von Drogen, die rechtlich ebenfalls in einem vollkommen ungeklärten Raum stattfinden. Welche Maßnahmen derzeit im Rahmen der Anti-Terror-Vorhaben von Europol durchgeführt werden, ist bisher öffentlich noch nicht bekannt.

Von besonderer Tragweite scheint die beschlossene Zusammenarbeit zwischen EU und US-Behörden zu sein. Bereits am 16.10.2001 hat der US-Präsident Bush einen Brief an die EU-Kommission geschickt, die eine Liste von über 40 Forderungen an die europäische Union zur Kooperation von Anti-Terror-Maßnahmen enthielt. Es wird eine informelle Zusammenarbeit auf lokaler Polizei- und Richterebene mit gegebenenfalls nachfolgenden schriftlichen Rechtshilfeersuchen gefordert. Dabei ist festzuhalten, dass die wenigen europäischen Datenschutzbestimmungen, die für EU-polizeiliche Zusammenarbeit bindend sind, von den US-Behörden nicht unterzeichnet wurden. Damit bleibt der Datenschutz bei der Überlieferung und Übermittlung von Daten aus Europa nach USA auf der Strecke. US-Präsident Bush scheut auch nicht davor zurück, von EU-Behörden einen Bruch der europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention und der UN-Konvention gegen Folter zu verlangen. Er fordert ausdrücklich, Alternativen zu entwickeln zum herkömmlichen Auslieferungsverfahren, diese sollen Abschiebung und Deportation sein. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie andere Rechte der Nationalstaaten und auf EU-Ebene durch die US-Behörden beachtet werden, wenn in den USA weitreichend Bürgerrechte außer Kraft gesetzt und sogar die Forderung nach Militärgerichten ohne Opposition durchgesetzt werden.

Von den 11 Maßnahmen auf legislativer Ebene, die uns im Rahmen der Anti-Terror-Bekämpfung präsentiert werden, waren sechs bereits vor dem 11.09.2001 vorgeschlagen worden und vier haben auf der EU-Agenda gestanden. Die einzige terrorismusspezifische Maßnahme ist die Untersuchung der Ausländer- und Asylrechtsgesetzgebung im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung.

Von entscheidender Bedeutung ist das Vorhaben zum europäischen Haftbefehl. Dieser soll das herkömmliche Auslieferungsverfahren ersetzen. Eine europäische Auslieferungskonvention wurde bereits verabschiedet, ist jedoch noch nicht von allen Staaten ratifiziert worden. Nun soll der kurze Weg über den europäischen Haftbefehl genommen werden, um die umständliche Ratifizierung der Konvention und die Einhaltung der dortigen Formalitäten zu vermeiden. Unter allen Fachleuten ist unumstritten, dass die herkömmlichen Verfahrensweisen der Auslieferung effizienter gestaltet werden müssen. Zumeist mangelt es an materiellen und personellen Voraussetzungen zur Bearbeitung von Auslieferungsersuchen, was dazu führt, dass diese viel zu lange Zeit in Anspruch nehmen. Es ist aber nicht hinnehmbar, dass statt einer ausreichenden Ausstattung der entsprechenden Behörden nunmehr an rechtlichen Garantien gespart werden sollen. Die EU hat sich selbst zum Ziel gesetzt, einen gemeinsamen Raum von Freiheit, Sicherheit und Recht zu schaffen. Die englische Bürgerrechtsorganisation Fair-Trials-Abroad (http://www.fairtrialsabroad.org) hat zurecht darauf hingewiesen, dass zur Erreichung dieses Zieles innerhalb der Europäischen Union nicht nur Maßnahmen zur Förderung der Sicherheit geplant werden müssen, sondern auch der Schutz der Verfahrensrechte für Unionsbürger garantiert werden muss. Im Einzelnen müssen der Zugang zur Gerichtsbarkeit (Prozesskostenhilfe), kompetente rechtliche Vertretung, die Kommunikation, d.h. ein kompetenter Übersetzer- und Dolmetscherservice, die Schaffung von Möglichkeiten der vorläufigen Freilassung, um Diskriminierung von Ausländern zu verhindern, die Überprüfung von bestimmten Verfahrenspraktiken, die zu ungerechten Gerichtsentscheidungen führen, eingerichtet werden. Insgesamt müssen Verfahrensweise gefunden werden, die die zwischenstaatliche Verteidigung regeln sowie die Fairness des Verfahrens auch im zwischenstaatlichen Strafverfahren garantieren. Die Forderungen von Fair-Trials-Abroad sind richtig. Ohne eine Umsetzung dieser rechtsstaatlich unverzichtbaren Forderungen sind weitere polizeiliche, exekutivische und Zwangsmaßnahmen auf europäischer Ebene nicht mehr hinnehmbar.

Der europäische Haftbefehl ist allerdings auch deswegen abzulehnen, weil grundlegende Rechtsgarantien im Auslieferungsverfahren auf der Strecke bleiben. Bevor keine gemeinsame europäische Rechtskultur herrscht, in der die eklatanten Unterschiede wie beispielsweise bei der Verfolgung von Betäubungsmittel-, politischen und kulturell bedingten Straftaten aufhebt, muss auf den Grundsätzen des Auslieferungsverfahrens, wie der Strafbarkeit im ersuchenden als auch im ersuchten Staat sowie dem Grundsatz der Spezialität beharrt werden.

Die wohl am heftigsten diskutierte legislative Maßnahme ist die Rahmengesetzgebung gegen Terrorismus. Dieses Vorhaben war bereits vor dem 11.09.2001 in Planung. Ziel der Rahmengesetzgebung ist es einerseits, Europol zu ermöglichen, bei der Terrorismusbekämpfung tätig zu werden, und andererseits die Staaten, die bisher keine spezielle Anti-Terror-Gesetzgebung haben, zu einer solchen zu verpflichten.

Bei der Definition der terroristischen Straftat wird ausdrücklich an die gewöhnliche Straftat angeknüpft, die mit einer hinausschießenden terroristischen Absicht begangen wird. Bei dem Straftatenkatalog befinden sich einerseits schwere kriminelle Delikte wie Mord, Entführung, Geiselnahme und Sprengstoffdelikte. Allerdings werden auch Straftaten, wie widerrechtliche Inbesitznahme und Beschädigung von öffentlichen Einrichtungen, Regierungsgebäuden und -anlagen, öffentlichen Verkehrsmitteln und der Infrastruktur genannt. Diese werden dann als terroristische Straftaten angesehen, wenn sie von einer Einzelperson oder einer Vereinigung gegen ein Land oder mehrerer Länder, deren Institutionen oder Bevölkerung mit dem Vorsatz begangen werden, sie einzuschüchtern und die politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Strukturen dieses Landes bzw. dieser Länder ernsthaft zu schädigen oder zu zerstören. So lautete der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission. Der Europäische Rat der Innen- und Justizminister kam am 26.10.2001 zu einer Definition, die nicht nur die Strukturen von Ländern schützen soll, sondern explizit auch die von internationalen Organisationen. Statt einer Zerstörung soll nunmehr eine ernsthafte Beeinflussung der Strukturen genügen.

Dies führte zu zahlreichen Protesten auf europäischer Ebene: Nach der Repressionswelle gegen Globalisierungskritiker in Schweden und Italien im Sommer 2001 wurde zurecht befürchtet, dass die Ausdehnung der Terrorismusdefinition die Bekämpfung von GlobalisierungskritikerInnen, militanten GewerkschafterInnen, AtomkraftgegnerInnen und anderen kritischen Oppositionellen verfolgt. Zwar wird sowohl von EU-Offiziellen als auch zuletzt vom deutschen Justizstaatssekretär Geiger bestritten, dass die Gesetzgebung einem solchen Ziel dient. Es wird aber nicht der Schluss daraus gezogen, eine klare und enge Definition von Terrorismus zu verabschieden. Vielmehr ist der letzte vorliegende Entwurf immer noch so weit formuliert, dass die genannten Aktivitäten unter den dort definierten Begriff von Terrorismus fallen würden.

(Wolfgang Kaleck, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein)

abstand

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Erstellt am 28.11.2001 - letzte Änderung am 28.11.2001