zurück zur CILIP-Startseite
Bürgerrechte & Polizei/CILIP  ·  Aktuelles zum Anti-Terror-Paket  ·  Inhaltsverzeichnis  ·  <  >

Schilys Terrorismusbekämpfungsgesetz: Der falsche Weg
Stellungnahme von Bürgerrechtsorganisationen zur Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 30. November 2001 zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) - Drucksache 14/7386 - vom 28.11.2001

1. Zum Kontext des Sicherheitspaketes

1.1 Das Sicherheitspaket in gesetzgeberischer Kontinuität

In der Öffentlichkeit werden vor allem die totale staatliche Überwachung oder das Bild des "Big Brother" verwendet, um die Veränderungen der Architektur der inneren Sicherheit durch Innenminister Schily zu kennzeichnen. Diese Begriffe sind nicht zutreffend, da sie unterstellen, es gäbe bei den derzeit politisch und polizeilich Verantwortlichen einen Willen zur Überwachung der gesamten Bevölkerung, der in dieser Pauschalität derzeit nicht erkennbar ist. Vielmehr drücken sich in dem aktuellen Sicherheitspaket Tendenzen der Innen- und Rechtspolitik aus, die die gesamten 90er Jahre prägten.

Diese Tendenzen führen zu schwerwiegenden Eingriffen in rechtsstaatliche Grundsätze. Der demokratische Rechtsstaat ist gekennzeichnet

  • durch ein Schuldstrafrecht und klar ausgewiesene Strafzwecke,
  • durch enge strafprozessuale Eingriffsvoraussetzungen,
  • durch klare polizeirechtliche Ermächtigungsgrundlagen, insbesondere der Gefahr als Anknüpfungspunkt polizeilicher Maßnahmen, und
  • eine der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes gerecht werdende gerichtliche Kontrolle.

Stattdessen setzten sich in den letzten Jahren Konzepte zu einem Sicherheits- oder Krisenbekämpfungsstaat durch. Beispielhaft lässt sich dies an den verdachtsunabhängigen Abhör- und Datenübermittlungskompetenzen des Bundesnachrichtendienstes nachvollziehen. Die durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 eingeführte Befugnis wurde nach dem entsprechendem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.07.1999 durch die rot-grüne Regierung Anfang 2001 teilweise neu gefasst wurde. Zu dieser Neufassung hatten DVD und RAV in einer gemeinsamen Presseerklärung ausgeführt, dass sich das Artikel-10-Gesetz "verschlimmbessert" hätte. Bündnis 90/Die Grünen hätten den Kampf gegen die Vergeheimdienstlichung der inneren Sicherheit aufgegeben im Tausch gegen einige datenschutzrechtliche Verbesserungen (vgl. die Homepage www.rav.de). Im Übrigen ist gegen das Artikel-10-Gesetz eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg anhängig.

Das G10-Gesetz weist dieselbe Richtung auf wie das aktuelle Schily-Sicherheitspaket: geheimdienstliche und polizeiliche Strukturen werden geschaffen und auf den jeweiligen Bestand moderner Technologien gebracht, nicht unbedingt um aktuell bei inneren und äußeren Konflikten zu intervenieren, sondern um "auf Vorrat" Verfahren und Ermächtigungen bereitzuhalten, die nach Gutdünken der Apparate der Inneren Sicherheit eingesetzt werden können.

Damit korrespondiert eine mittlerweile fast 15-jährige Tradition von Gesetzesaktivismus und symbolischer Politik im Bereich des Strafrechts und des Polizeirechts. Nach dem Wegfall der Blockkonfrontation und dem Ende des Kalten Krieges wurde jede sich bietende Gelegenheit genutzt, um innere und äußere Bedrohungen wie organisierte Kriminalität, Einheitskriminalität, Betäubungsmittelkriminalität, Rechtsradikalismus, Hooligans oder Sexualstraftaten zum Anlass zu nehmen, um Gesetzesänderungen mit teilweise weitreichenden Folgen durchzusetzen. Nur zwei Beispiele: Das DNA-Feststellungsgesetz wurde unter dem Eindruck von schwersten Sexualstraftaten geschaffen, mittlerweile muss sich jeder Strafverteidiger fast alltäglich mit Anordnungen von DNA-Feststellungen wegen Körperverletzungen oder politischer Delikte wie Landfriedensbruch auseinandersetzen. Die drastischen Maßnahmen, die gegen Hooligans im Passgesetz beschlossen wurden, nämlich Passbeschränkungen und Meldeauflagen, wurden im Sommer 2001 erstmals im größeren Umfang gegen Globalisierungskritiker im Vorfeld der Treffen in Salzburg und Genua eingesetzt. Fast alle Gesetzesprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie ohne Evaluierung und ohne Befristung nicht nur für die Fälle geschaffen werden, für die sie ursprünglich vorgesehen waren, sondern sie auf eine wesentlich größere Anzahl von Fällen anwendbar sind. Selbst wenn bei Einführung bestimmter gesetzlicher Maßnahmen eine breite Anwendung der Gesetze nicht durchsetzbar ist, sind die technischen und organisatorischen Strukturen zunächst geschaffen und können dann entweder in der Verwaltungspraxis oder durch weitere Gesetzesänderungen auf eine Vielzahl von ursprünglich nicht erfassten Fällen ausgeweitet werden.

Dies alles ist seit Jahren bekannt und wird von Berufsverbänden sowie kritischen Kommentatoren immer wieder beanstandet. Übertroffen wird diese Entwicklung durch die nun auf dem Tisch liegenden Schily-Sicherheitspakete vom Herbst 2001. Unter dem Titel Terrorismusbekämpfung sollen zahlreiche Gesetze geändert werden, die mit Terrorismusbekämpfung von vornherein nichts zu tun haben und die vor allem in ihrer Anwendung von vornherein nicht auf "Terrorismusbekämpfung" beschränkt sind.

1.2 Fehlende Geeignetheit und fehlende Verhältnismäßigkeit

Absurderweise hat sich in der Öffentlichkeit die Diskussion nach dem 11.9. 2001 teilweise so entwickelt, dass nicht der Staat und die Befürworter eines repressiven Vorgehens die geplanten Maßnahmen akribisch begründen und dann gemessen an dem Verhältnismäßigkeitsprinzip (Geeignetheit der Maßnahme zur Terrorismusbekämpfung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Grundrechte) rechtfertigen müssen. Vielmehr werden die Kritiker solcher Gesetzgebungsvorhaben immer wieder dazu aufgefordert, doch eigene Vorschläge zu machen, denn, so lautet das Totschlagargument, "man müsse doch schließlich angesichts dieser Bedrohung etwas tun".

Dieser Einwand geht grundlegend an der Sache vorbei. Denn im Verhältnis Staat - Bürger ist der Staat stets nachweis- und begründungspflichtig für Grundrechtseingriffe und dieser Nachweis- und Begründungspflicht ist das Bundesinnenministerium bis jetzt nicht ausreichend nachgekommen, wie nachfolgend darzulegen sein wird.

Die Öffentlichkeit insgesamt, aber auch Bürgerrechts- und Anwaltsorganisationen sind aufgrund der Eile und Hektik des Gesetzgebungsverfahrens und der fehlenden Informationen nicht in der Lage, die Tatsachengrundlagen für die Gesetzesvorhaben nachzuprüfen. Die Geschwindigkeit, mit der das Gesetzgebungsverfahren betrieben wird - nach dem Willen des Bundesinnenministeriums soll es vor Weihnachten abgeschlossen sein -, ist in der Sache nicht begründet. Dies gilt vor allem für die Teile der Sicherheitspakete, die von vornherein erst mittel- und langfristig praktischen Nutzen entfalten können. Es ist unerträglich, dass das Bundesjustizministerium in einer ersten Stellungnahme zu dem Vorentwurf zum Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 17. Oktober 2001 deutliche und scharfe rechtliche Kritik an zahlreichen vorgesehenen Regelungen äußert und ausdrücklich feststellt, dass es sich nur um erste Prüfung handelt und weitere Stellungnahmen vorbehalten bleiben, dass aber anschließend nur ein Teil der Kritik des BMJ umgesetzt wird und vor allem eine umfassende inhaltliche Erörterung des gesamten Projektes aufgrund der Hektik des Verfahrens nicht stattfinden kann. Unter anderen hat keine Diskussion darüber stattgefunden, den Gesetzentwurf auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu beschränken - was im Übrigen auch das BMJ angeregt hat.

Derzeit gelangen ohnehin nur durch Polizei und Geheimdienstapparate gefilterte, sich teilweise widersprechende Informationen an die Öffentlichkeit. Diese ist derzeit schlicht und einfach nicht in der Lage nachzuprüfen, in welcher Weise die Attentäter von New York und Washington organisiert waren, wie sie die Attentate vorbereitet und durchgeführt haben und inwieweit weitere Anschläge zu erwarten sind. Damit fehlt die Grundlage für den zweiten sehr wichtigen Schritt, nämlich eine Einschätzung darüber, inwieweit herkömmliche polizeiliche und strafprozessuale Kompetenzen ausreichen, um einerseits die notwendigen Ermittlungen gegen die Attentäter durchzuführen und zum anderen vor weiteren Anschlägen zu schützen. Dabei wird derzeit oft der fatale Fehler begangen, dass mit einem Kenntnisstand über die Attentäter argumentiert wird, wie er sich nach Ermittlungen durch Tausende von Ermittlern aus Dutzenden von Ländern nach dem 11. September darstellt. Es müssten aber alle Maßnahmen akribisch darauf hin untersucht werden, ob sie bei einem Kenntnisstand vor dem 11.09.2001 überhaupt geeignet gewesen wären, über die Organisation und die Personen der Attentäter Informationen zu beschaffen und ihre Handlungen zu verhindern.

Zu fordern ist also von der Bundesregierung die umfassende Information der Öffentlichkeit über die Erkenntnisse zu den Attentätern und über zukünftige aus ihrem Kreise drohende Gefahren.

Die an der Ausarbeitung dieser Stellungnahme beteiligten Bürgerrechtsorganisationen kommen zu dem Schluss, dass - was im Einzelnen nachzuweisen ist - ein wesentlicher Teil der im Gesetzentwurf enthaltenen Maßnahmen

  • ungeeignet ist, den vorgegebenen Zweck der Terrorismusbekämpfung zu erfüllen (besonders evident ist dieser Schluss u.a. bei den tausendfachen Sicherheitsüberprüfungen bei sogenannten sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten, bei den millionenteuren biometrischen Merkmalen in Personalausweisen und Pässen und bei der Kronzeugenregelung) und
  • nicht erforderlich ist, also die herkömmlichen polizeilichen und strafprozessualen Mitteln bei vielen vorgeschlagenen Maßnahmen ausreichen würden und insofern kein Handlungsbedarf des Gesetzgebers besteht.

Die Prüfung der Geeignetheit und der Erforderlichkeit der Maßnahmen sind die ersten beiden Stufen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der bei allen Grundrechtseingriffen anzuwenden ist. Schon auf dieser Ebene scheitern fast alle der vorgeschlagenen Regelungen. Dazu kommt - und dies macht das Terrorismusbekämpfungsgesetz so gefährlich -, dass viele der Maßnahmen auch im engeren Sinne unverhältnismäßig sind, also der Ertrag den angerichteten Schaden für die Grundrechte vieler tausender Menschen und den sozialen demokratischen Rechtstaat als Ganzen nicht aufwiegen kann.

(Wolfgang Kaleck, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein)

abstand

Zurück zur "Anti-Terror"-Übersicht  |  Inhaltsverzeichnis der Stellungnahme
zurück zur CILIP-Startseite
© 2001 bei den verfassenden Organisationen und Einzelpersonen
HTML-Auszeichnung: Martina Kant
Erstellt am 28.11.2001 - letzte Änderung am 09.09.2002